Das Leben als Einheit - Körper und Seele | AVENTIN Blog --

Das Leben als Einheit - Körper und Seele

Das Leben als Einheit – Körper und Seele – R.M.F – Alltagspsychologie
Das Leben als Einheit   

Das Leben als Einheit – Körper und Seele – R.M.F – Alltagspsychologie


Die gewöhnliche Meinung über das Verhältnis von Seele und Leib geht dahin, die Seele habe den Leib zu »regieren«, sie entwerfe die Pläne des Handelns und gäbe dann das Kommando, worauf die Glieder des Körpers diese Befehle gehorsam ausführten.

Also etwa: ich spüre in meiner Seele die Lust, ins Theater zu gehen, ich überschlage Für und Wider, ich komme zu einem Entschluss, worauf sich mein Körper gehorsam aus seinem Sessel, worin er bisher gesessen, erhebt, an den PC oder ans Telefon geht und dort die Kartenbestellung ausführt.

Das alles scheint sehr einfach. Sieht man freilich genauer hin, so merkt man, dass die Regierung der Seele nicht so absolutistisch ist, wie es nach solchem Beispiel aussieht.

Denn prüfe ich mich selbst, warum in meiner Seele der Wunsch, ins Theater zu gehen, wach geworden ist, so merke ich, dass er sich keineswegs wie der legendäre Blitz aus heiterem Himmel darin gebildet hat, sondern dass er erwachsen ist aus einem allgemeinen Gefühl, zum Beispiel der Abgespanntheit, der Unfähigkeit oder Unlust zur Arbeit, das mir den Wunsch nach Zerstreuung und Aufheiterung eingegeben, der sich dann auf eine Theatervorstellung zugespitzt hat.

Sehe ich die Sache so an, so wird auf einmal das Bewusstsein, die Seele, zu einer Vermittlungsstelle für körperliche Bedürfnisse, richtiger für die körperlich sich offenbarenden Lebenstendenzen.

Wenn also die Seele eine »Regierung« ist, so ist sie es nur in dem Sinne, dass diese die erste Dienststelle des Staates ist.

Wir werden zwar später zeigen, dass das Bewusstsein bestrebt ist, sich als absolute Regierung aufzutun, doch ist das nicht die Regel, vielmehr ist es das Normale, dass das Bewusstsein seine Hebeleinschaltungen und Steuerungen im Dienste des Ganzen versieht, nicht etwa bloß des Leibes, sondern des beseelten Leibes, des lebendigen Leibes, kurz, des »Lebens«.

Hier bereits stehen wir vor einem Problem, das nur von diesem Begriff aus zu lösen ist, der uns oben als Hauptschlüssel für die versperrten Pforten der Erkenntnis erschien.

Mit diesem Begriff können wir die Einheit bezeichnen, die wir suchten, in der Leib und Seele nicht auseinanderklaffen, sondern in der sie als zwei verschiedene Äußerungen einer sie beide übergreifenden Wesenheit beschlossen sind: denn wir brauchen das Leben als die formbildende Kraft, die den Körper aufbaut, die Organe entwickelt und die Fortpflanzung ermöglicht; wir brauchen aber das Leben auch, damit sich das Bewusstsein im Körper entzündet; denn wir kennen Bewusstsein nur in lebenden Körpern.

Wir heben somit den Anspruch des Bewusstseins auf, er sei der Sinn oder der Zweck des belebten Leibes; wir sehen in ihm nur eine Äußerung des gleichen Lebens, das auch den Körper aufbaut.

Wenn sich das Bewusstsein als den Sinn des ganzen Lebens ansieht, so tut es das etwa mit dem gleichen Recht, mit dem sich eine elektrische Beleuchtungsanlage einbilden könnte, das Haus, das sie erleuchten soll, sei nur um ihretwillen gebaut, oder mit dem gleichen Recht, mit dem sich manche Staatsangestellte einbilden, der Staat sei darum da, nur damit sie ihre Gehälter beziehen.

Unsere spätere Untersuchung wird zeigen, wie sehr sich durch diese Erkenntnis der dienenden Stelle des Bewusstseins gewisse verbreitete Anschauungen verschieben, ja dass nur von diesem Standpunkt aus die mannigfachen Tatbestände des Alltags wie der hohen Kultur ihren Sinn erhalten.

Gewiss ist das Bewusstsein auch Leben, aber das Leben ist mehr als das Bewusstsein, das Leben ist »causa sui« und »finis sui«. Das Leben mag nicht der Güter höchstes sein, aber das Leben ist Voraussetzung, dass überhaupt »Güter« im menschlichen Sinne möglich sind.

Mit alledem sagen wir freilich nicht, dass das Bewusstsein nur im Dienste des Körpers stehe; wir sind weit entfernt, den Bauch zum Gott zu machen; denn auch der Leib ist uns ja nicht Zweck und nicht Sinn, sondern ebenfalls nur eine dienende Form des Lebens, dem Bewusstsein nicht über-, sondern höchstens nebengeordnet; beides, Leib wie Bewusstsein, nur Formen jener sie beide durchwirkenden und sie beide übergreifenden Macht, die uns als letzter Begriff erscheint, zu dem wir vordringen können: des Lebens.

Was dieses Leben im letzten Grunde ist, wissen wir nicht, wie wir von nichts die letzten Gründe kennen. Wir geben zu, dass es ein Mysterium ist, die weitest vorgeschobene Tatsache, zu der unser Erkennen vordringen kann, weil es die Voraussetzung für alles Erkennen ist, für das Erkennen sowohl der seelischen wie der körperlichen Gegebenheiten.

Wir lassen auch hier die metaphysische Frage, ob sich das Leben auf die Gesetze des anorganischen Seins zurückführen lässt (wie es der »Mechanismus« will), oder ob man das Leben als eine dem anorganischen Sein neben- oder gar übergeordnete Seinsform begreifen muss (wie der »Vitalismus« will), wir lassen diese Frage hier unerörtert, weil sie für das Problem unserer Frage unwesentlich und bis heute überhaupt nicht beantwortbar ist.

Wir stellen nur fest: es gibt »Leben« in der Welt, eine vorläufig nicht weiter zurückführbare Macht, die die organischen Körper aufbaut und in ihnen das Bewusstsein entwickelt, das jedoch nun ebenso wie die Form des Körpers nicht mehr als »Substanz« oder sonst eine letzte Wesenheit, sondern — ebenso wie die körperliche Existenz — als eine Sonderform des Lebens erscheint.

Körper wie Bewusstsein sind zunächst Auswirkungen dieses Lebens, sie dienen aber zugleich dazu, dies Leben zu erhalten und in seinen mannigfachen Tendenzen sich entfalten zu lassen, und wenn wir den Menschen (wie die organischen Wesen überhaupt) verstehen wollen, so müssen wir im körperlichen wie im bewussten Dasein eben das Leben und seine mannigfachen Tendenzen aufspüren.

Ohne diesen Sinn bleibt sowohl der Körper wie das Bewusstsein unverständlich, und es ist nicht möglich, etwa den Leib vom Bewusstsein aus oder das Bewusstsein vom Leib aus zu erklären. Beide erhalten Sinn nur als Teilfunktionen jenes Lebens, das uns als »Prinzip« der Welt, wenigstens unserer Welt, erscheint.

Das Leben als Einheit – Körper & Seele – R.M.F – Alltagspsychologie 

Autor: R.M.F

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    Die gewöhnliche Meinung über das Verhältnis von Seele und Leib geht dahin, die Seele habe den Leib zu »regieren«, sie entwerfe die Pläne des Handelns und gäbe dann das Kommando, worauf die Glieder des Körpers diese Befehle gehorsam ausführten.