Die Aeroplane in Brescia
Die Aeroplane in Brescia - 2 von 2 - Franz Kafka
Ein Arbeiter fasst den einen Flügel der Schraube, um sie anzudrehen, er reißt an ihr, es gibt auch einen Ruck, man hört etwas wie den Atemzug eines starken Mannes im Schlaf; aber die Schraube rührt sich nicht weiter. Noch einmal wird es versucht, zehnmal wird es versucht, manchmal bleibt die Schraube gleich stehen, manchmal gibt sie sich für ein paar Wendungen her. Es liegt am Motor.
Neue Arbeiten fangen an, die Zuschauer ermüden mehr als die nahe Beteiligten. Der Motor wird von allen Seiten geölt; verborgene Schrauben werden gelockert und zugeschnürt; ein Mann läuft in den Hangar, holt ein Ersatzstück; da passt es wieder nicht; er eilt zurück, und hockend auf dem Boden des Hangars, bearbeitet etwas mit einem Hammer zwischen seinen Beinen. Blériot wechselt den Sitz mit einem Mechaniker, der Mechaniker mit Leblanc.
Bald reißt dieser Mann an der Schraube, bald jener. Aber der Motor ist unbarmherzig, wie ein Schüler, dem man immer hilft, die ganze Klasse sagt ihm ein, nein, er kann es nicht, immer wieder bleibt er stecken, immer wieder bei der gleichen Stelle bleibt er stecken, versagt. Ein Weilchen lang sitzt Blériot ganz still in seinem Sitz; seine sechs Mitarbeiter stehen um ihn herum, ohne sich zu rühren; alle scheinen zu träumen.
Die Zuschauer können aufatmen und sich umsehen. Die junge Frau Blériot mit mütterlichem Gesicht kommt vorüber, zwei Kinder hinter ihr. Wenn ihr Mann nicht fliegen kann, ist es ihr nicht recht, und wenn er fliegt, hat sie Angst; überdies ist ihr schönes Kleid ein bisschen schwer für diese Temperatur.
Wieder wird die Schraube angedreht, vielleicht besser als früher, vielleicht auch nicht; der Motor kommt mit Lärm in Gang, als sei er ein anderer; vier Männer halten rückwärts den Apparat, und inmitten der Windstille ringsherum fährt der Luftzug von der schwingenden Schraube her in Stößen durch die Arbeitsmäntel dieser Männer. Man hört kein Wort, nur der Lärm der Schraube scheint zu kommandieren, acht Hände entlassen den Apparat, der lange über die Erdschollen hin läuft wie ein Ungeschickter auf Parketten.
Vier solcher Versuche werden gemacht, und alle enden unabsichtlich. Jeder treibt das Publikum in die Höhe, auf die Strohsessel hinaus, auf denen man mit ausgestreckten Armen zugleich sich in Balance hält, zugleich auch Hoffnung, Angst und Freude zeigen kann.
In den Pausen aber zieht die Gesellschaft des italienischen Adels die Tribüne entlang. Man begrüßt einander, verneigt sich, erkennt einander wieder, es gibt Umarmungen, man steigt die Treppen zu den Tribünen hinauf und hinab. Man zeigt einander die Principessa Laetitia Savoia Bonaparte, die Principessa Borghese, eine ältliche Dame, deren Gesicht die Farbe dunkelgelber Weintrauben hat, die Contessa Morosini. Marcello Borghese ist bei allen Damen und keiner, er scheint von der Ferne ein verständliches Gesicht zu haben, in der Nähe aber schließen sich seine Wangen über den Mundwinkeln ganz fremd.
Gabriele d’Annunzio, klein und schwach, tanzt scheinbar schüchtern vor dem Conte Oldofredi. Von der Tribüne schaut über das Geländer das starke Gesicht von Giacomo Puccini mit einer Nase, die man eine Trinkernase nennen könnte.
Aber diese Personen erblickt man nur, wenn man sie sucht, sonst sieht man überall nur die langen Damen der heutigen Mode. Sie ziehen das Gehen dem Sitzen vor, in ihren Kleidern sitzt es sich nicht gut. Alle Gesichter, asiatisch verschleiert, werden in einer leichten Dämmerung getragen. Das am Oberkörper lose Kleid lässt die ganze Gestalt von rückwärst etwas zaghaft erscheinen; ein wie gemischter, ruheloser Eindruck entsteht, wenn solche Damen zaghaft erscheinen. Das Mieder liegt tief, kaum noch zu fassen; die Taille scheint breiter als gewöhnlich, weil alles schmal ist; diese Frauen wollen tiefer umarmt sein.
Es war nur der Apparat Leblancs, der bisher gezeigt wurde. Nun kommt aber der Apparat, mit dem Blériot den Kanal überflogen hat; keiner hat es gesagt, alle wissen es. Eine lange Pause, und Blériot ist in der Luft, man sieht seinen geraden Oberkörper über den Flügeln, seine Beine stecken tief als Teil in der Maschinerie.
Die Sonne hat sich geneigt, und unter dem Baldachin der Tribüne durch beleuchtet sie die schwebenden Flügel. Hingegeben sehn alle zu ihm auf, in keinem Herzen ist für einen anderen Platz. Er fliegt eine kleine Runde und zeigt sich dann fast senkrecht über uns. Und alles sieht mit gerenktem Hals, wie der Monoplan schwankt, von Blériot gepackt wird und sogar steigt.
Was geschieht denn? Hier oben ist zwanzig Meter über der Erde ein Mensch in einem Holzgestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig übernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehen unten ganz zurückgedrängt und wesenlos und sehen diesem Menschen zu. Alles geht gut vorüber. Der Signalmast zeigt gleichzeitig an, dass der Wind günstiger geworden ist und Curtiss um den großen Preis von Brescia fliegen wird. Also doch?
Kaum verständigt man sich darüber, schon rauscht der Motor des Curtiss, kaum sieht man hin, schon fliegt er von uns weg, fliegt über die Ebene, die sich vor ihm vergrößert, zu den Wäldern in der Ferne, die jetzt erst aufzusteigen scheinen. Lange geht sein Flug über jene Wälder, er verschwindet, wir sehen die Wälder an, nicht ihn. Hinter Häusern, Gott weiß wo, kommt er in gleicher Höhe wie früher hervor, jagt gegen uns zu, steigt er, dann sieht man die unteren Flächen des Biplans dunkel sich neigen, sinkt er, dann glänzen die oberen Flächen in der Sonne.
Er kommt um den Signalmast herum und wendet gleichgültig gegen den Lärm der Begrüßung, geradeaus dorthin, von wo er gekommen ist, um nur schnell wieder klein und einsam zu werden. Er führt fünf solche Runden aus, fliegt fünfzig Kilometer in neunundvierzig Minuten und vierundzwanzig Sekunden und gewinnt damit den großen Preis von Brescia, dreißigtausend Lire.
Es ist eine vollkommene Leistung, aber vollkommene Leistungen können nicht gewürdigt werden, vollkommener Leistungen hält sich am Ende jeder für fähig, zu vollkommenen Leistungen scheint kein Mut nötig.
Die Aeroplane in Brescia - Franz Kafka - 2 von 2
Autor*in: Franz Kafka
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Ein Arbeiter fasst den einen Flügel der Schraube, um sie anzudrehen, er reißt an ihr, es gibt auch einen Ruck, man hört etwas wie den Atemzug eines starken Mannes im Schlaf; aber die Schraube rührt sich nicht weiter. Noch einmal wird es versucht, zehnmal wird es versucht, manchmal bleibt die Schraube gleich stehen, manchmal gibt sie sich für ein paar Wendungen her. Es liegt am Motor.