Innen- und Außenbewusstsein
Innen- und Außenbewusstsein - R.M.F - Alltagspsychologie
Noch einmal kommen wir auf das Verhältnis des Subjekts- und Objektsbewusstseins zurück. Die intellektualistische Psychologie glaubte vom Objektbewusstsein her, aus Empfindungen und Vorstellungen, unser gesamtes Seelenleben aufbauen zu können; dieser Versuch musste misslingen.
Die Seele ist kein leerer Behälter, in den durch die Pforten der Sinne von außen her Bilder eingeführt werden, deren Reproduktionen, Verknüpfungen und Abstraktionen das Bewusstsein bestimmten und seine Tätigkeiten bedingten. Wäre es so, so ließen sich Charakter und geistige Bildung sehr einfach von außen formen, und es bliebe unerklärt, wieso denn ein Mensch, den man von früh auf mit moralischer und gelehrter Weisheit vollstopft, nicht mit Notwendigkeit ein Muster an Tugend und Gelehrsamkeit wird, sondern oft gerade das Gegenteil.
Wie kennen den Grund: die Seele ist eben kein alles geduldig aufnehmender Behälter, sondern selbsttätige, in Trieben sich auswirkende, auswählende, verwerfende, umformende Aktivität. Nur wenn wir begreifen, dass auch das Wahrnehmen, Vorstellen und Denken im Dienste des Willens zum Leben steht, nur dann verstehen wir das geistige Leben richtig. Gewiss gehört es vielfach zum Leben, dass wir Eindrücke der Außenwelt getreu aufnehmen, in der Weise und Ordnung, wie sie sich uns darbieten; aber auch das scheinbar getreuste Bild ist noch Auswahl, perspektivische Umordnung, Schematisierung!
Auch das wissenschaftliche Weltbild, das man vielleicht als Beleg heranführt dafür, dass wir getreue Kenntnis der Welt hätte, ist keineswegs eine Kopie, sondern eine höchst geniale Umschaffung der Welt, ein schematischer Plan, der uns gestattet, die Welt unseren Zwecken dienstbar zu machen.
Der Physiker, der Biologe, der Historiker, sie alle kopieren nicht die Welt, sondern sie wählen aus, ordnen, gestalten die verwirrende Fülle der Tatbestände so um, wie es für ihre Ziele notwendig ist. Denn dort, wo es auf »Wirklichkeit« ankommt, kommt es doch auf »Wirken« an. Und um wirken zu können, muss oft der Geist die Dinge komprimieren und schematisieren, er muss Wichtiges betonen und Unwichtiges weglassen, kurz, er speichert niemals seine Sinneseindrücke mechanisch auf, sondern formt aus ihnen »Aktionspläne« für sein Handeln, und das und nichts anderes sind unsere Vorstellungen von der Wirklichkeit.
Ob nun unser Erleben der Außenwelt unserem Ich und seinen Forderungen gemäß ist, davon gibt ein besonderes Bewusstseinserlebnis, das zugleich das wichtigste Mittel der Seele ist, einzelne Inhalte herauszuheben und zu betonen, Kunde: »das Lust- bzw. Unlusterlebnis«.
Viele neuere Psychologen wollen nur diese beiden Zustände als »Gefühle« gelten lassen, verengen damit diesen Begriff allzusehr gegenüber dem Sprachgebrauch, der auch Liebe und Hass, Furcht und Neid und zahlreiche andere Zustände als Gefühle bezeichnet, also auch das, was wir »Affekte« nannten, die alle Lust- und Unlustzustände umschließen, ohne darum etwa aus Lust und Unlust zusammensetzbar zu sein. Vielmehr ist der Kern aller dieser Erlebnisse das Triebbewusstsein, das im Falle der Befriedigung des Triebs Lust, im Falle der Nichtbefriedigung Unlustfärbung hat.
Habe ich Hunger, so tritt bei Befriedigung des Triebs Lust, bei Nichtbefriedigung in immer wachsendem Maße Unlust ein. Im allgemeinen also können wir Lust und Unlust als Signale dafür ansehen, ob die jeweiligen Erlebnisse dem Streben des Organismus gut oder schlecht angepasst sind. Jede gut angepasste Erregung erweckt Lust, jede schlecht angepasste, allzu starke oder störende Reizung löst Unlust aus, was das Ich dann zu weiteren Abwehrreaktionen veranlasst.
Über die Rolle von Lust-Unlust herrschen vielfach falsche Vorstellungen, die den Lebenssinn dieser Bewusstseinszustände verhüllen. Oft meint man, in der Erlangung von Lust und der Meidung von Unlust sei der Sinn alles Lebens zu suchen, wir lebten um der Lust willen.
Gewiss ist diese Meinung, der »Hedonismus« oder die »Verlüstelung« des Lebens, sehr verbreitet, und wir kommen später darauf zurück, dass viele Menschen in der Tat um der Lust willen leben: das jedoch ist eine Perverierung des natürlichen, normalen, gesunden Verhältnisses, demgemäß nicht das Leben im Dienste der Lust, sondern die Lust im Dienste des Lebens steht.
Wir begehren die Erlebnisse von Natur aus nicht, weil sie Lust erregen — nein, weil wir sie begehren, das heißt, weil sie irgendwelchen Ichstrebungen genugtun, darum erregt ihr Eintritt Lust. Niemals ist eine Speise an sich lustvoll, sie ist es nur dann, wenn unser Appetit darauf gerichtet ist; denn sind wir übersättigt, so widersteht uns das gleiche Gericht, das uns vorher lockte.
Unsere Lebensbedürfnisse sind die Instanzen, von denen Lust oder Unlust abhängen; nicht die Gegenstände des Erlebens an sich entscheiden. Das Wohlgefallen an der Schönheit einer Person ist nicht so sehr durch das Bestehen objektiver Schönheitskriterien als durch das Erregtsein des Sexualinstinkts bedingt.
Eine Frau wird so z.B. nicht darum begehrt, weil sie schön ist, sondern sie heißt schön, wenn sie begehrt wird, das heißt, wenn ihr Wesen dem Geschlechtsinstinkt, wenn sie den Lebenstendenzen des Mannes Erfüllung verheißt. Daher gelten unter natürlichen Verhältnissen frische Haut, voller Busen und starke Hüften für schön, weil sie dem Instinkt gute Bedingungen für die Fortpflanzung der Art bedeuten.
Das natürliche Leben bezieht sich nicht auf die Lust als Selbstzeck, sondern auf die Lust als Zeichen förderlicher Lebensbetätigung. Zugegeben, dass sich dies Verhältnis mannigfach pervertiert; es ist trotzdem das natürliche Verhältnis und zeigt widerum, dass das Bewusstsein nicht der Sinn des Lebens, sondern dienendes Glied im Leben ist, dass wir nicht leben um des Bewusstseins, hier der Lustgefühle, willen, sondern dass wir Bewusstsein, also auch ein Lustbewusstsein haben, damit das Leben sich seinem Wesen gemäß entfalte.
Innen- und Außenbewusstsein - Vom Sinn des Lebens - R.M.F - Alltagspsychologie - Psychologie
Autor*in: R.M.F
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Noch einmal kommen wir auf das Verhältnis des Subjekts- und Objektsbewusstseins zurück. Die intellektualistische Psychologie glaubte vom Objektbewusstsein her, aus Empfindungen und Vorstellungen, unser gesamtes Seelenleben aufbauen zu können; dieser Versuch musste misslingen. Die Seele ist kein leerer Behälter, in den durch die Pforten der Sinne von außen her Bilder eingeführt werden.