Himmlische Musik
Himmlische Musik – Richard von Volkmann – Streit und Zank
Als noch das goldene Zeitalter war, wo die Engel mit den Kindern auf der Erde spielten, standen auch immer die Tore des Himmels weit offen, und der goldene Himmelsglanz fiel wie Regen aus ihnen auf die Erde herab.
Die Menschen sahen von der Erde in den offenen Himmel hinein, und sie sahen oben die Seligen zwischen den Sternen spazieren gehen, und die Menschen grüßten hinauf, und die Seligen grüßten herunter.
Das Schönste aber war die wundervolle Musik, die damals aus dem Himmel sich hören ließ. Gott selbst hatte dazu die Noten geschrieben, und tausend Engel führten sie mit Geigen, Pauken und Trompeten auf.
Immer wenn die Musik zu ertönen begann, wurde es ganz still auf der Erde. Der Wind hörte auf zu rauschen, und das Wasser im Meer und in den Flüssen stand still.
Die Menschen nickten sich zu und drückten sich heimlich die Hände. Denn es wurde ihnen beim Lauschen immer so wunderbar zumute, wie man das heute gar nicht mehr beschreiben kann.
Ja, so war es damals. Aber es dauerte nicht lange, da ließ Gott wegen der vielen Verfehlungen der Menschen zur Strafe die Himmelstore schließen und sagte zu den Engeln: »Hört jetzt auf mit der Musik! Ich bin traurig!«
Da wurden die Engel auch betrübt und setzten sich jeder mit seinem Notenblatt auf eine Wolke und zerschnitzelten die Notenblätter mit ihren kleinen goldenen Scheren in lauter kleine einzelne Stückchen, die sie auf die Erde hinunter fliegen ließen.
Hier nahm der Wind sie auf und wehte die Papierschnitzel wie Schneeflocken über Berg und Tal, ja, er zerstreute sie über die ganze Welt hinweg.
Von den Menschen wollte nun jeder eines dieser Papierschnitzel erhaschen, der eine fing ein großes und der andere ein kleines Stück, denn es war ja etwas von der himmlischen Musik, die immer so wundervoll geklungen hatte.
Zu anfangs hoben die Menschen die Papierschnitzel noch sorgfältig auf und hielten sie ihn Ehren, dann aber fingen sie wieder an zu streiten, weil jeder glaubte, er hätte das beste Stück erwischt. Zuletzt behauptete sogar ein jeder, dass das, was er hätte, die eigentliche himmlische Musik sei, und das, was die anderen besäßen, nur eitel Trug und Schein wären.
Wer ganz klug sein wollte, und deren gab es viele, machte noch hinten und vorn einen großen Schnörkel daran und bildete sich etwas ganz Besonderes darauf ein.
Der eine pfiff nun <a> und der andere sang <b>; der eine spielte in Moll und der andere in Dur und keiner konnte mehr den anderen verstehen. Kurz gesagt: Lärm, Streit und Zank wurden immer größer und zum Schluss so groß, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte. Und so geht es auch heute noch manchmal zu!
Wenn aber einmal das Goldene Zeitalter wieder kommen wird, wo die Menschen sich vertragen und verstehen und Streit und Zank bei Seite legen, dann wird Gott die Engel auch wieder beauftragen, alle Papierschnitzel von seinem himmlischen Notenbuch einzusammeln; die großen ebenso wie die kleinen Schnitzel, und selbst die ganz kleinen, auf denen nur eine einzige Note steht.
Die Engel werden die Stückchen wieder zusammensetzen, und die Tore des Himmels werden wieder aufspringen, und die himmlische Musik wird aufs Neue erschallen, ebenso schön wie früher.
Dann werden die Menschen verwundert und beschämt dastehen, sich gegenseitig wieder bei der Hand nehmen und lauschen, und einer wird zum anderen sagen: »Das hattest du! Das hatte ich! Jetzt klingt die Musik wieder wunderbar und herrlich, da alles wieder zusammen gefügt ist und am richtigen Ort sich befindet!«
Ja! So wird es werden! Darauf könnt ihr euch verlassen.
Himmlische Musik – Richard von Volkmann – Märchen – Streit und Zank
Autor*in: Richard von Volkmann
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Als noch das goldene Zeitalter war, wo die Engel mit den Kindern auf der Erde spielten, standen auch immer die Tore des Himmels weit offen, und der goldene Himmelsglanz fiel wie Regen aus ihnen auf die Erde herab.