Typen des Gefühlslebens
Typen des Gefühlslebens – R.M.F – Alltagspsychologie
Zunächst müssen wir wieder in den subjektiven Untergrund der Seele, das Trieb- und Gefühlsleben (das beim Verstandesmenschen nicht fehlt, sondern nur zurück tritt), hinab tauchen.
Sieben Urtriebe, so erkannten wir , wirken, bald einzeln, bald verquickt oder widerstreitend, aus den Tiefen der Seele in jedem Menschen. Aber sie sind nicht gleich stark in allen Individuen, sondern höchst ungleich in ihrer Macht über die Gesamtseele, ja in der Regel hat einer dieser Triebe das entschiedene Übergewicht, so dass er dem gesamten Charakter das Gepräge gibt.
Und diese Vorherrschaft eines der sieben Urtriebe bestimmt auch die Zugehörigkeit zum Trieb- oder Affekttypus, deren wir demgemäß auch eine Siebenzahl zu unterscheiden haben.
Die Bedeutung der vorherrschenden Triebanlage für die Gesamtseele ist schon der volkstümlichen Menschenkenntnis nicht entgangen, und auch diese unterscheidet zum Beispiel den <Angstmeier>, den <Streithahn>, den <Gecken>, je nachdem der Angstaffekt, der Streitaffekt oder die Eitelkeit das Wesen eines Individuums beherrschen.
Die grundsätzliche Bedeutung dieser Triebhegemonie wird jedoch selten erkannt, und eine klare Übersicht über die Typen besteht in der Regel nicht. Solche Übersicht nun suchen wir hier, indem wir der Reihe nach die Prägungen überschauen, die durch Vorherrschaft eines der sieben Urtriebe zustande kommen.
Da finden wir zunächst den Typus des <materiellen Menschen>, bei dem die Triebe der physischen Selbsterhaltung, die in den Gefühlen des körperlichen Behagens oder Unbehagens bewusst werden, das Leben bestimmen.
Der <materielle Mensch> sucht vor allem den Genuss von Speise und Trank, er pflegt seinen Körper durch Bequemlichkeit oder ein solches Maß von Betätigung, als nötig ist, um das körperliche Behagen aufrecht zu erhalten. Dieser Typus ist sehr verbreitet, wenn auch selten hoch gewertet, weil er wenig für die Allgemeinheit bedeutet.
Herrschen dagegen die Triebe der Lebenserweiterung vor, so erhalten wir den Typus des <Erwerbsmenschen>. Dieser sucht in eifriger Betätigung sich möglichst reicht und mächtig zu machen, er wettet und wagt, listet und schafft, das Glück zu erjagen, das für ihn darin besteht, dass sich der Speicher mit köstlicher Habe füllt, dass die Räume wachsen und das Haus sich ausdehnt. Aus diesem Typus rekrutieren sich die guten Kaufleute und tüchtigen Wirtschafter. Sie halten die Räder des öffentlichen Erwerbslebens in Schwung und sind daher wichtig auch für die Allgemeinheit.
Wird dagegen in erster Linie Befriedigung der Selbsterhöhungstriebe gesucht, so steht der Typus der <Selbsterhöhung> vor uns, unter den die stolzen, die ehrgeizigen, die eitlen Menschen eingehen, je nach der Sonderart, in der die Steigerung des Lebensgefühls gesucht oder gefunden wird. All ihr Tun dient dem Zweck, ihr eigenes Selbstbewusstsein zu nähren. Sie bauen in ihrer oft sehr eifrigen Tätigkeit im Grunde nur an einem Sockel, auf dem ihr persönliches ICH steht, um von dort auf die übrige Welt herab zu blicken. Wie man auch ethisch diesen Typus beurteilen mag, es ist nicht zu leugnen, dass bedeutende Menschen aus allen Lebenssphären ihm zugehören, und dass der Selbsterhöhungstrieb die Triebfeder für wertvolle Kulturleistungen aller Art sein kann.
Das Gegenbild des Menschen des gesteigerten Lebensgefühls ist der <depressive Mensch>, der Mensch des herabgesetzten ICHgefühls. Er fühlt sich klein und schwach der Welt gegenüber, er schaut nach Sicherung aus gegen Gefahren, die ihn allenthalben zu umlauern scheinen. Sein ganzes Leben ist beherrscht durch Ängstlichkeit, Kleinmut und Furcht. Sein Tun und Treiben ist darauf gerichtet, sich gegen tausenderlei wirkliche oder eingebildete Gefahren und Schwierigkeiten zu decken, sich Panzer und Schutzmauern zu schaffen gegen die Nöte des Daseins. Seine Furcht macht ihn jedoch auch tätig und erfinderisch, und so wird er auch oft bedeutsam für die Allgemeinheit.
Ein fünfter Typus ist dadurch gekennzeichnet, dass die feindlichen Triebe in seinem Wesen dominieren, dass er gleichsam immer auf der Lauer liegt, Gegner anzugreifen, zu überwinden und zu vernichten. Es ist dies der Typus des <aggressiven Menschen>, zu dessen Umkreis die Streithähne, die Spottlustigen und die Kämpfernaturen gehören. Dieser Typus findet und schafft sich Gegner auch in friedlichster Umgebung. Er kann nicht leben ohne Streit und Kampf. Nur in unablässiger Fehde genießt er das Leben. Es sind nicht immer die angenehmsten Nachbarn, aber sie dürfen in keiner Gemeinschaft fehlen, denn sie bringen Bewegung in die sonst leicht stagnierenden Gewässer des Daseins.
Umgekehrt gibt es auch einen Typus der <freundlichen Gesellungstriebe>, der Hass und Streit meidet, stets geneigt ist, auch bei wirklichen Gegensätzen auszugleichen und zu vermitteln. Das Wesen dieses Typus ist beherrscht durch Antriebe der Sympathie und der Solidarität, der Sanftmut und Nachgiebigkeit. Dieser Typus ist das Ideal der christlichen Ethik, sein Lebenszweck ist Friede und Freundschaft. Er ist ein wertvoller Bestandteil jeder Gemeinschaft, wenn es auch ein Irrtum ist, zu meinen, dass er allein imstande sei, eine Kultur aufzubauen.
Als siebenten Typus stellen wir den des <erotischen Menschen> auf, dessen ganzes Dichten und Trachten beherrscht ist von den Trieben der geschlechtlichen Fortpflanzung, wenn auch nicht in deren roher Form, sondern in mannigfachen Verkappungen und Verfeinerungen. Für diesen Typus ist die ganze Welt der Polarität des Geschlechts unterstellt. Sein Leben ist unablässiges Werben und Erobern der Gunst seiner (anders)geschlechtlichen Nächsten, sei es als <Don Juan> der Gunst der Frauen, sei es als <Kokette> der Gunst der Männer. Auch diese Menschenart ist im gesellschaftlichen und künstlerischen Leben unentbehrlich und zählt bedeutende Individuen in ihren Reihen.
So schematisch auf den ersten Blick diese Einteilung scheinen mag, man wird sich von ihrer Fruchtbarkeit alsbald überzeugen, wenn man die Menschen, die man aus Alltag oder Geschichte kennt, unter diesen Gesichtspunkten zu verstehen sucht. Unschwer wird man finden, wie das Leben der meisten Menschen ganz von einem oder einer Kombination mehrer dieser Grundaffekte beherrscht ist, dass man Handlungen und Lebensgestaltung der Menschen nur versteht, wenn man ihre affektive Motivierung durchschaut.
Später wird gezeigt werden, dass jeder dieser Typen seine eigene Mimik und Physiognomik, seine eigene Sprache, seine eigene Symbolik bis hinab zum äußeren Kostüm entwickelt! Es ist erstaunlich, wie sehr, sobald man den Affekttypus eines Menschen erkannt hat, dessen gesamtes Leben unter dem Gesichtspunkt des beherrschenden Triebes ein unverkennbares Gepräge offenbart.
Der Typus des Erotikers zum Beispiel zeigt sich nicht nur in seinem Verhalten zur Frau, etwa in der Art seiner Ehe, sondern auch in der Art, sich zu kleiden, sich in der Gesellschaft zu benehmen, auch in der Art, wie er seine Zimmer einrichtet, in der Auswahl der Bücher, die er liest, und tausenderlei anderen Dingen.
Weiß man ferner, dass jemand zum Typus des Erwerbsmenschen gehört, so lässt sich mit einiger Bestimmheit voraussagen, welchen Beruf er ergreifen, welche Liebhabereien er haben wird und welche nicht, was für eine Frau er heiraten wird, welchen Verkehr er sich aussucht, kurz, sein ganzes Leben findet seine Erklärung von dieser zentralen Veranlagung her, ja, selbst wenn er durch äußere Umstände in falsche Bahn gebracht ist, wenn er zum Beispiel zu einem ihm nicht gelegenen Beruf gezwungen ist, so macht sich seine typische Anlage doch überall erkennbar in der Art, wie er diesen Beruf umbiegt.
Die fundamentale Bedeutung dieser Typik zeigt sich auch darin, dass die komplexen Typen, mit denen die Menschenkenntnis des Alltags rechnet, dadurch erst ihre Begründung finden. Man erwäge nur, welche entscheidende Rolle für die Besonderheit der Altersstufen das verschieden starke Hervortreten des erotischen Triebes spielt, wie zum Beispiel die Unterschiede von Kind, Jüngling, Mann und Greis von hier aus entscheidend bedingt sind.
Volks-, Zeit- und Standestypen erhalten ebenfalls von hier aus ihre Fundierung, wie denn zum Beispiel das verschieden starke Hervortreten des Selbsterhöhungstriebes, besonders in der Form des Stolzes und des Ehrbedürfnisses, den Aristokraten vom Bürger und Bauern scheidet. Ja, bis in die Ausbildung künstlerischer Stile, philosophischer Systeme, religiöser Dogmen hinein ist der Affekttypus ihrer Schöpfer von ausschlaggebender Bedeutung.
Typen des Gefühlslebens – R.M.F – Alltagspsychologie - Psychologie
Autor*in: R.M.F
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Zunächst müssen wir wieder in den subjektiven Untergrund der Seele, das Trieb- und Gefühlsleben (das beim Verstandesmenschen nicht fehlt, sondern nur zurück tritt), hinab tauchen. Sieben Urtriebe, so erkannten wir , wirken, bald einzeln, bald verquickt oder widerstreitend, aus den Tiefen der Seele in jedem Menschen.