Der Hodscha
Der Hodscha - Goethe - Schönheit
Kaiser Timur war keine Schönheit, sondern ein hässlicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuß.
Indem nun eines Tages sein Gelehrter, sein Hodscha, wieder bei ihm war, kratzte sich Timur am Kopf, denn die Zeit des Barbierens war gekommen, und er befahl, der Barbier solle gerufen werden.
Nachdem sein Kopf geschoren war, gab ihm der Barbier, wie gewöhnlich, den Spiegel in die Hand. Timur sah sich erschreckt im Spiegel an und fand sein Ansehen gar zu hässlich.
Darüber fing er nun an zu weinen, und auch der Hodscha begann zu weinen. Und so weinten sie ein paar Stunden lang.
Darauf hin trösteten einige Gesellschafter Kaiser Timur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, nur um ihn alles vergessen zu machen. Und tatsächlich, Timur hörte auf zu weinen. Der Hodscha aber hörte nicht auf, sondern fing jetzt erst richtig an, immer stärker zu weinen.
Endlich sprach Timur zum Hodscha: »Jetzt höre mal! Ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr hässlich gesehen, darüber betrübte ich mich sehr. Und weil ich nicht nur allein der Kaiser bin, sondern auch noch viel Vermögen habe, daneben aber so hässlich bin, darum habe ich geweint! Aber warum weinst du die ganze Zeit ohne Aufhören?«
Der Hodscha antwortete schluchzend: »Wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Beschauung deines Gesichtes es gar nicht hast aushalten können, dich anzusehen, sondern darüber betrübt warst und geweint hast, was sollen wir dann denn tun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht ansehen müssen!? Und wenn nicht ich weine, wer soll dann denn weinen? Deshalb habe ich geweint!«
Kaiser Timur kam vor Lachen ganz außer sich und der Hodscha musste sich ihm dann ebenfalls unweigerlich anschließen zu lachen.
Der Hodscha – Johann Wolfgang von Goethe - Schönheit Story
Autor*in: Johann Wolfgang von Goethe
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Kaiser Timur war keine Schönheit, sondern ein hässlicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuß.