September 2020 | AVENTIN Blog --

Wolfsziegel - Dachziegel - Wissen

Wolfsziegel – Dachziegel Windinstrument Aeolsharfe
Wolfsziegel 

Wolfsziegel - Dachziegel - Windinstrument - Aeolsharfe


Unter Wolfsziegel (frz.: tuile à loups) versteht man einen besonders geformten Dachziegel, der bei bestimmten Windverhältnissen einen Pfeifton erzeugt. Dieses Wind-Instrument, das in früheren Zeiten das Eintreffen von Wölfen ankündigte, ist meist in gebirgigen Gegenden Europas, besonders aber in Frankreich in den Cevennen, zu finden.

Die Wolfsziegel bestehen aus Stein, Ton oder Schiefer ähnlichem Material, das von Schlitzen oder Löchern durchbohrt ist und am Dachgiebel oder auf dem Dachfirst eines Gebäudes angebracht wird.

Je nach Gebiet sind die Dachziegel entweder roh oder von Steinmetzen behauen und haben oft auch die Form einer Sonne, eines Sterns oder eines Hahns. Im Département Lozère in Frankreich bestehen sie aus Granit; Löcher oder Schlitze sind meist in Gestalt eines Kreuzes angeordnet.

Als indirektes Warn- oder Ankündigungsinstrument diente der Wolfsziegel nicht dazu, Wölfe abzuschrecken oder sie fernzuhalten, sondern dazu, sie anzukündigen.

Der Wind, der sich in den Öffnungen des nach Nord-Osten oder Osten ausgerichteten Wolfsziegels verfängt, produziert ab einer gewissen Windstärke ein charakteristisches Pfeifen.

Dieses Pfeifen zeigte den Menschen früher an, dass der in diesen Gebieten gefürchtete, meist aus Sibirien kommende Wind (kontinentale Kaltluft) zu wehen beginnt. Dieser Ostwind kündigt immer schon eine große Kälte und viel Schnee an und weht meist auch mehrere Wochen lang.

Während dieser Zeit hat in den Bergen und Wäldern nicht nur das Wild unter Kälte und Hunger zu leiden, auch die Wölfe litten darunter. Ihre Beutetiere haben sich während dieser Zeit zurückgezogen und Nahrungsmangel stellte sich ein.

Daher waren die Wölfe auch gezwungen, sich nach Alternativen um zu sehen. Auf ihrer Suche nach Nahrung frequentierten sie in Folge dessen häufig Bauernhöfe und Dörfer. Hier gab es reichlich Schafe, Hunde, Katzen, Hühner und anderes Kleingetier zu finden, welches leicht als Beute erlegt werden konnte.


Weitere Bedeutungen:

“Wolfsziegel” werden auch eingemauerte Flaschen an einer Giebelwand bezeichnet, deren nach außen gerichtete Öffnung bei Wind ein lästiges Pfeifen bewirkt, das schon manchen Bauherren verzweifeln lies. Das Einmauern eines solchen “Wolfsziegels” geschieht oftmals als Vergeltung (Revanche) für schlechte Bezahlung oder Behandlung der Handwerker.

“Wolfsziegel” (La tuile à loups) ist auch der Titel eines französischen Fernsehfilms (1972) von Jacques Ertaud, welcher sich auf das Buch „Der Wolfsziegel“ von Jean-Marc Soyez bezieht.

Im Grunde ist ein “Wolfsziegel” nichts anderes als ein Windinstrument, eine sogenannte Aeolsharfe in diesem Fall aus Stein oder Ton.

Wolfsziegel – Dachziegel Windinstrument Aeolsharfe - Wissen

Autor: N. N.

Bewertung des Redakteurs:

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    Unter Wolfsziegel (frz.: tuile à loups) versteht man einen besonders geformten Dachziegel, der bei bestimmten Windverhältnissen einen Pfeifton erzeugt.

    Vogelgesang - Streit Richter Urteil

    Vogelgesang – Streit Richter Urteil – Story aus Südosteuropa
    Vogelgesang 

    Vogelgesang – Streit Richter Urteil – Story aus Südosteuropa


    Zwei Freunde gingen durch den Wald und hörten einen Vogel singen.

    »Höre, Freund, wie schön der Vogel für mich singt!« sprach der erste. 
    »Er singt nicht für dich, sondern für mich!« antwortete der zweite. 
    »Nein, für mich!« widersprach der erste.

    Ein Wort gab das andere, ihr Streit artete in eine Prügelei aus, und gleich nach der Heimkehr lief der erste zum Richter, um seinen Freund zu verklagen. »Und wenn Sie meine Partei ergreifen, Herr Richter«, schloss er, »dann bringe ich Ihnen auch heute Abend einen fetten Ochsen!«

    »Keine Sorge«, erwiderte der Richter. »Dein Freund wird den Rechtsstreit verlieren!« Da ging der erste Freund erleichtert seiner Wege.

    Kaum war er aber fort, da kam der zweite, trug dem Richter ihren Streitfall vor und schloss: »Wenn Sie meine Partei ergreifen, Herr Richter, dann will ich Ihnen auch heute Abend einen fetten Hammel zutreiben.«

    »Keine Sorge«, erwiderte der Richter, »dein Freund wird den Rechtsstreit verlieren.« Am nächsten Morgen stellten sich beide Kläger beim Gericht ein, jeder in der Hoffnung, den Rechtsstreit zu gewinnen. Sie sahen sich mit scheelen Blicken an.

    Der Richter gab sich den Anschein, als sähe er sie zum ersten Mal, und ließ sich den Fall vortragen.

    »Meine Freunde!« sprach er dann. »Ihr seid beide im Irrtum. Der Vogel hat weder für den einen noch für den anderen gesungen. Falls ihr mir versprecht, euch zu versöhnen, wie es sich für ehrenhafte Leute schickt, will ich euch sagen, für wen er sang. Seid ihr damit einverstanden?«

    »Jawohl, Herr Richter!« riefen die Freunde wie aus einem Munde.

    »Wohlan«, sprach der Richter. »Der Vogel sang für mich.«

    »Ergebensten Dank, Euer Gnaden!« antworteten die Freunde versöhnten sich und gingen wieder heim.

    Unterwegs besprachen sie den Fall und kamen zu dem Schluss, dass der Vogel in der Tat für den Herrn Richter gesungen, ihm nämlich einen Ochsen und einen Hammel eingebracht hatte.

    Vogelgesang - Streit Richter Urteil - Balkan - Story

    Autor: Geschichte aus dem Balkan

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      Zwei Freunde gingen durch den Wald und hörten einen Vogel singen. »Höre, Freund, wie schön der Vogel für mich singt!« sprach der erste.

      Der Pfau im Hühnerhof - Fabel

      Der Pfau im Hühnerhof – John Gay – Fabel Neid
      Der Pfau im Hühnerhof 

      Der Pfau im Hühnerhof

      Fabel von John Gay 

      Neid


      Je vollkommener Schönheit ist, desto eher wird der kleinste Mangel, der kleinste Fehler sichtbar. Ein winziger, dunkler Fleck kann das blendende Weiß des frisch gefallenen Schnees trüben.

      Diese Erfahrung musste auch ein Pfau machen, als ihn einmal der Hunger zum anderen Federvieh trieb, das im Hühnerhof umher lief und seine Körner aufpickte.

      Kaum zeigte er sich in seiner schillernden Pracht unter all den Gänsen, Enten, Hühnern und Truthühnern, als sie ihre Hälse nach ihm verdrehten, vollkommen vergaßen weiter zu fressen und dem Pfau deutlich zeigten, dass sie nichts von seinem prächtigen Aussehen hielten.

      Der Pfau, seiner Schönheit und Würde wohl bewusst, schritt ruhig zwischen seinen von der Natur nicht so reich beschenkten Verwandten dahin und fraß bedächtig, ohne sich um sie zu kümmern. Um sie aber dann doch zu beschämen, schlug er mit seinen schleppenden, samtigen Federn ein herrliches Rad.

      So gleißend, so funkelnd war der Schmelz der Farben, dass die anderen Vögel sich halb geblendet abwenden mussten, und das brachte sie erst recht in Zorn.

      Der Truthahn schrie: »Schaut doch, Brüder und Schwestern, wie stolz und unverschämt dieses Geschöpf einher stolziert! Kann Hochmut sich denn niemals zurück halten? Hat Hochmut es denn immer notwendig, sich öffentlich zu zeigen? Bedenkt man aber den wahren und inneren Wert, so muss jeder zugeben, dass wir Truthühner die schönere Haut haben!«

      Als nächste zischte die Gans: »Seht doch, welch hässliche Beine er hat! Und diese scheußlichen Krallen! Ich bin ja keineswegs so, dass ich kleine Fehler beanstanden würde, im Gegenteil, ich verachte Leute, die nicht großmütig genug sind, um einen kleinen Mangel zu übersehen. Aber kann ich stillschweigen, wenn ich diesen heiseren Pfauenruf höre! Sogar die Eulen, deren Stimmen doch wahrhaftig nicht angenehm zu nennen sind, erschrecken, wenn dieser grässliche Pfau schreit!«

      »Es ist wahr«, rief der Pfau, »das alles sind Fehler! Ihr mögt meine kreischende Stimme, meine hässlichen Beine verachten. Nur so blinde Neider wie ihr lästern vergeblich. Wie könnte jemand über all diese Fehler die Pracht meines Federkleides vergessen?«

      »Gewiss, würden meine Beine, über die ihr euch so lustig macht, auch eine Gans oder einen Truthahn tragen. Und würde eure Stimme heiserer sein als meine, wer würde sich schon bei euch um solche Mängel kümmern, bescheiden und unbedeutend im Aussehen, wie ihr seid? Wem Neid und Missgunst den Verstand verdunkeln, der ist leider blind für alle Schönheit, die ihn erfreuen könnte!«

      So geschah es, als der Pfau in den Hühnerhof ging.

      Lehre: Oft geschieht es auch unter Leuten, dass jemand unter weniger hübschen Menschen Neid und Missgunst in den Gesichtern der anderen erweckt. Und nicht weniger suchen diese dann nach seinen Fehlern, wie jene Gänse, Enten, Hühner und Truthühner.


      Der Pfau im Hühnerhof – John GayFabel Neid

      Autor: John Gay

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        Je vollkommener Schönheit ist, desto eher wird der kleinste Mangel, der kleinste Fehler sichtbar. Ein winziger, dunkler Fleck kann das blendende Weiß des frisch gefallenen Schnees trüben.

        Wieder mal - Krimi

        Wieder mal – Wolfgang Burger – Kriminalstory
        Wieder mal 

        Wieder mal – Wolfgang Burger – Kriminalstory

        Es ist wieder soweit. Er singt wieder im Bad. Sie muss wieder mal in die Apotheke. Sie kann sich schon gar nicht mehr richtig erinnern, aber sieben oder acht Mal war es schon, in den zwölf Jahren, die sie jetzt verheiratet sind.

        Und natürlich weiß sie auch diesmal, wer es ist. Die Neue aus der Exportabteilung ist es. Rote Haare und lange Beine hat sie, und kurze Röcke trägt sie.

        Anfangs hat er ja so viel von ihr erzählt. Klug sei sie, geradezu frech, und vorne so und hinten so, und dann hat er von einem Tag auf den anderen nichts mehr von ihr erzählt. Dafür hat er wieder begonnen, nach Herxheim in dieses Fitness-Studio zu gehen, zweimal die Woche.

        Wenn er dann wieder heimkommt, dann ist zwar sein Handtuch feucht, denn dumm ist er ja nicht, aber die Seife ist ganz trocken, und sie ist ja schließlich auch nicht dumm. Auch das teure Rasierwasser nimmt er auf einmal, das sie ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat, und das so lange nur rumgestanden hat.

        Und jetzt singt er wieder im Bad! Und das heißt, sie muss wieder in die Apotheke nach Kandel, zu Frau Brenner.

        Wie gut, dass die ihr damals den Tipp mit den Tropfen gegeben und einen Vorrat zurückgelegt hat, als die Firma die Herstellung aufgab. Diese Tropfen, die man Hunden gibt, Rüden, damit sie nicht diese ekligen Sachen machen.

        Denn jetzt gibt es die Tropfen nicht mehr, und die Tabletten, die stattdessen verkauft werden, die wirken bei Hunden schlecht und bei Männern so gut wie gar nicht. Außerdem sind sie nicht farblos, so dass man sie nur in Dornfelder Rotwein tun kann, und den trinkt er ja nicht so viel.

        Und die Tabletten sind auch nicht ganz geschmacklos und machen mehr Arbeit, weil man sie vorher in Wasser auflösen muss. Sie kann sie ihm ja schlecht ins Futter mischen, wie es auf der Packung steht.

        Frau Brenner benutzt die Tropfen immer dann, wenn es bei ihrem Gatten wieder mal soweit ist. Nicht so oft natürlich, aber hin und wieder schon. Das tröstet sie dann immer ein bisschen.

        Wenn er abends die Tropfen in den Riesling bekommt, dann schläft er nachts viel besser, nach ein paar Tagen hört er dann auf, im Bad zu singen, und nach zwei, drei Wochen fährt er dann auch nicht mehr nach Herxheim ins Fitness-Studio.

        Nur einmal bei dieser Bibliothekarin aus Kaiserslautern, dieser schwarzhaarigen, da hat es nicht aufgehört. Der Teufel mag wissen, was die getrieben haben, es hat einfach nicht aufgehört. Da musste sie ihm schließlich von dem Pulver in den Wein geben, das sie für den Wellensittich hat, um ihn gegen Milben zu pudern.

        Da hat er zwar geschimpft, der Riesling würde nach Kork schmecken, hat ihn am Ende aber trotzdem getrunken, weil er nicht gern was verkommen lässt. Dann hat er diese fürchterlichen Blähungen gekriegt, und dann war es auch mit der Liebe der Bibliothekarin irgendwann vorbei.

        Hoffentlich muss sie das nicht noch einmal machen, denn danach hätte er bestimmt eine Glatze. Und das wäre ja auch nicht schön, so gar keine Haare mehr auf dem Kopf, in seinem Alter.

        Wieder mal – Wolfgang Burger – KriminalstoryStory

        Autor: Wolfgang Burger

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          Es ist wieder soweit. Er singt wieder im Bad. Sie muss wieder mal in die Apotheke. Sie kann sich schon gar nicht mehr richtig erinnern, aber sieben oder acht Mal war es schon, in den zwölf Jahren, die sie jetzt verheiratet sind.

          Gesinnung und Diktatur - Hermann Hesse

          Gesinnung und Diktatur – Hermann Hesse – Gesellschaft
          Gesinnung und Diktatur  

          Gesinnung und Diktatur – Hermann Hesse – Gesellschaft


          Viele Male habe ich zugesehen, wie ein Saal voll Menschen, eine Stadt voll Menschen, ein Land voll Menschen von jenem Rausch und Taumel ergriffen wurden, bei dem aus den vielen Einzelnen eine Einheit, eine homogene Masse wird.

          Ich habe viele Male zugesehen, wie alles Individuelle erlischt und die Begeisterung der Einmütigkeit, des Einströmens aller Triebe in einen Massentrieb Hunderte, Tausende oder Millionen mit einem Hochgefühl erfüllt, einer Hingabelust, einer Entselbstung und einem Heroismus, der sich anfänglich in Rufen, Schreien, Verbrüderungsszenen mit Rührung und Tränen äußert, schließlich aber in Krieg, Wahnsinn und Blutströmen endet.

          Vor dieser Fähigkeit des Menschen, sich an gemeinsamen Leid, gemeinsamem Stolz, gemeinsamem Hass, gemeinsamer Ehre zu berauschen, hat mein Individualisten- und Künstlerinstinkt mich stets aufs heftigste gewarnt.

          Wenn in einer Stube, einem Saal, einem Dorf, einer Stadt, einem Land dieses schwüle Hochgefühl spürbar wird, dann werde ich kalt und misstrauisch, dann schaudere ich und sehe schon das Blut fließen und die Städte in Flammen stehen, während die Mehrzahl der Mitmenschen, Tränen der Begeisterung und Ergriffenheit in den Augen, noch mit dem Hochrufen und der Verbrüderung beschäftigt ist.

          Gesinnung und Diktatur – Hermann HesseGesellschaft - Essay

          Autor: Hermann Hesse

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            Viele Male habe ich zugesehen, wie ein Saal voll Menschen, eine Stadt voll Menschen, ein Land voll Menschen von jenem Rausch und Taumel ergriffen wurden, bei dem aus den vielen Einzelnen eine Einheit, eine homogene Masse wird.

            Frieden schaffen - Bewusstsein

            Frieden schaffen – Bewusstsein – Welt Leben Menschen
            Frieden 

            Frieden schaffen
            Bewusstsein
            Welt Leben Menschen


            Ich kann Frieden schaffen auf der ganzen Welt!

            Ich kann Frieden schaffen
            indem ich dafür sorge,
            dass in mir selber Frieden ist.

            Ich kann Frieden schaffen
            indem ich ihn weitergebe
            an meine Kinder,
            an meine Eltern,
            und an die Menschen,
            mit denen ich arbeite.

            Ich kann Frieden schaffen
            indem ich ihn weitergebe
            an die, welche ich treffe – – –
            zufällig oder nicht zufällt.

            Das ist (m)eine Möglichkeit,
            Frieden auf dieser Welt zu schaffen.

            Frieden schaffen – Verfasser unbekannt – Bewusstsein - Leben - Menschen

            Autor: N. N.

            Bewertung des Redakteurs:

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              Ich kann Frieden schaffen auf der ganzen Welt! Ich kann Frieden schaffen indem ich dafür sorge, dass in mir selber Frieden ist.

              Die schlimme Nachtwache - Märchen

              Die schlimme Nachtwache – Ludwig Bechstein – Märchen
              Die schlimme Nachtwache 

              Die schlimme Nachtwache - Märchen von Ludwig Bechstein


              Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte nicht viel. Sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und sie trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinnen und um Geld hätte sie dem Teufel auch ihre Seele verkauft, wenn dieser sie wollte.

              Manche Untaten geschahen im Haus dieser Wirtin, die nicht an den Tag kamen. Endlich aber war das Maß ihrer Sünden voll und es geschah Folgendes:

              Ein vornehmer Herr kam angereist, der über Nacht bleiben wollte. Er aß und trank und sagte vor dem Schlafengehen zur Kellnerin: »Es muss jemand vor meiner Tür wachen. Ich zahle dafür hundert Gulden und mehr. Magst du die dir verdienen, Kellnerin?«

              »Nein!« antwortete die Kellnerin. »In der Nacht schlafe ich, am Tag arbeite ich, und am Abend bin ich hundemüde. Ich will es aber der Wirtin sagen, dass sie ihnen eine Nachtwache schickt!«

              »Denk Dir!« sprach sodann die Kellnerin zur Wirtin: »Der fremde Herr will hundert Gulden oder mehr bezahlen, wenn jemand in der Nacht vor seiner Tür wacht! Ich habe abgelehnt und mich dafür bedankt. Ich habe keine Zeit!«

              »So?« sagte die Wirtin. »Dann geht du mal ruhig schlafen, ich will da schon jemanden besorgen!«

              Die Wirtin aber wollte das Wachtgeld nur für sich selbst behalten. So ging sie zum fremden Gast und sagte zu ihm: »Es ist leider niemand da, der bei Euch wachen will. Ich muss es schon selbst tun. Aber ihr müsst noch etwas Geld darauf legen, hundert Gulden sind einfach zu wenig!«

              »Schon recht, Frau Wirtin! Ich lege noch etwas darauf. Wacht nur fein.« Dann ging der Gast in sein Zimmer und verschloss die Tür. Die Wirtin blieb draußen auf dem Flur und wachte und zählte in Gedanken schon das leicht verdiente viele Geld.

              Um Mitternacht erwachte die Kellnerin und es war ihr, als höre sie ein winselndes Gestöhn im Haus. Aber es gruselte ihr, sie wollte nicht nachzusehen und blieb deshalb hübsch unter ihrer Bettdecke liegen.

              Als es dann wieder Tag wurde, saß die Frau Wirtin immer noch vor der Tür des Fremden und hatte einen großen Beutel voll Geld in der Hand. Aber sie sah irgendwie jämmerlich aus!

              Jetzt erst bemerkte die Kellnerin mit Entsetzen, dass nur noch die Kleider und die Haut der Wirtin da lagen. Alles Andere hatte der Teufel mitgenommen!

              Die schlimme Nachtwache – Ludwig BechsteinMärchen

              Autor: Ludwig Bechstein

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                Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte nicht viel. Sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und sie trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinnen und um Geld hätte sie dem Teufel auch ihre Seele verkauft, wenn dieser sie wollte.

                Der Hase mit den Hörnern - Fontaine

                Der Hase mit den Hörnern – Jean de la Fontaine – Fabel
                Der Hase   

                Der Hase mit den Hörnern – Jean de la Fontaine – Fabel


                Ein Hase tummelte sich ausgelassen an einem wunderschönen Sommermorgen auf einem freien Plätzchen, das von dichtem Buschwerk umgeben war. Hier fühlte er sich sicher.

                Vergnügt hopste er über ein paar Heidebüschel, sauste übermütig im Kreis umher und wälzte sich mit Wohlbehagen im sonnengewärmten Sand. Er zersprang fast vor Lebenslust und wusste vor Glück nicht wohin mit seinen Kräften.

                Aber plötzlich duckte er sich blitzartig in einer kleinen Erdmulde nieder. Ein Hirsch setzte über die Büsche hinweg, und gleich darauf folgte ein Widder. Danach trampelte auch noch ein schwerer Stier respektlos quer durch das sonnige Morgenreich des kleinen Hasen.

                »Unverschämte Bande«, kreischte der Hase, »mir meinen schönen Morgen so zu verderben!« Kaum hatte er sich wieder aufgerappelt, sprang eine Ziege über die Sträucher. »Halt«, schrie der Hase, »was soll das bedeuten, wo läuft ihr denn alle hin?«

                Die Ziege, die immer zu einem Streich aufgelegt war, schaute lange und ernst auf die Ohren des Hasen, dann meckerte sie munter: »Hast du denn noch nicht vom neuen Gesetz des Königs gehört? Ein kühner Bruder von mir stieß zufällig den Löwen mit seinen prächtig geschwungenen Hörnern in die Seite.«

                »Doch der König verstand keinen Spaß und befahl, dass alle Tiere, die Hörner tragen, sein Land verlassen müssten. Wer heute Abend noch hier verweilt, wird mit dem Tode bestraft. Ich muss mich beeilen. Lebe wohl, Meister Langohr.«

                »Sonderbar«, dachte der Hase, welcher nicht ganz so schlau war wie sein Großvater, »der Löwe treibt seine Beute aus dem Land? Höchst sonderbar!«

                Auf einmal fuhr der Hase zusammen. Jetzt wusste er, warum die Ziege ihn so seltsam angegafft hatte. Natürlich, das war es. Im Sand erblickte der Hase die Schatten seiner Ohren. Sie erschienen ihm riesengroß, und er befürchtete, dass der König seine Ohren für Hörner halten könnte.

                »Was mach’ ich nur, was mach’ ich nur?« wiederholte der Hasenfuß und zitterte wie Gras im Wind. »Hier bin ich geboren, hier bin ich aufgewachsen, hier kenne ich jeden Grashalm. Ich mag nicht auswandern. Ach, wären meine Ohren doch so klein wie die einer Maus.«

                Eine Grille hatte die Worte der Ziege vernommen, und als sie nun den dummen Hasen so jammern hörte, lachte sie. »Du dummer Angsthase, die Ziege hat dir nur Hörner aufsetzen wollen. Was du wirklich an deinem Kopf hast, sind ganz gewöhnliche Ohren.«

                »Hier aber hält man sie für Hörner«, gab der Hase traurig zur Antwort. »Was hilft es mir, dass ich, du und der liebe Gott wissen, dass es Ohren sind, wenn es der Löwe nicht glaubt.« Und ängstlich lief der Hase in ein anderes Land.

                Der Hase mit den Hörnern – Jean de la FontaineFabel

                Autor: Jean de la Fontaine

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                  Ein Hase tummelte sich ausgelassen an einem wunderschönen Sommermorgen auf einem freien Plätzchen, das von dichtem Buschwerk umgeben war. Hier fühlte er sich sicher.

                  Zur Weltgeschichte - Hermann Hesse

                  Zur Weltgeschichte – Hermann Hesse – Gedanken
                  Zur Weltgeschichte 

                  Zur Weltgeschichte – Hermann Hesse – Gedanken


                  Wir sehen die Weltgeschichte, das heißt die Geschichte unseres Weltalters, in hypertrophischen Staatengebilden und sinnlosen Materialschlachten vergehen.

                  Wie sehen sie in der Ausrottung unzähliger Tier- und Pflanzenarten, dem Hinwelken des Schönen und Wohltuenden im Bild der Städte und Länder, im Gestank der Fabriken, dem Erkranken der Gewässer, und nicht minder im Erkranken und Hinwelken der Sprachen, der Werte, der Worte, der Denk- und Glaubenssysteme dahin siechen.

                  Und dass diesem still und rasch sich beschleunigenden Zerfall eine blendende Hochentwicklung der technischen Intelligenz und Leistung gegenübersteht, dass wir uns von der Zentrifuge unseres mechanisierten Daseins bereits in den Weltraum schleudern lassen können, das scheint mehr den Massen als den Denkenden ein Trost zu sein.

                  In Europa sitzen wir auf den schönen Trümmern unserer abendländischen Kultur vermutlich als eine der letzten Generationen. Was in Asien und Afrika sich, zum großen Teil durch unsere eigene Schuld, angestaut hat und wie ein Bergrutsch oder eine Völkerwanderung gegen uns unterwegs ist, davor wird nichts uns retten können.

                  Deutschlands Stellung in der Welt sehe ich rein psychologisch an und interessiere mich namentlich mit einem gewissen Grauen für die fabelhafte deutsche Fähigkeit zur »Verdrängung« und zum gläubigen Hinnehmen ideologischer Ideen. Die Fähigkeit, aus dem Unsinnigsten und Furchtbarsten eine Religion zu machen, ist bei uns groß.

                  Heutzutage muss man schon dankbar sein, wenn der Mitmensch einem nicht einfach im Namen seiner Weltanschauung und zur Neuordnung Europas das Leben oder das Portemonnaie nimmt.

                  Die meisten Menschen haben ja gar keine persönlichen Gesinnungen, sondern die ihrer Kaste. Sowohl Kapitalisten wie Sozialisten oder andere sind zu 99 Prozent Anhänger von Meinungen, zu deren Nachprüfung ihr eigener Geist nicht ausreicht.

                  Ich lehne Programme und fertig formulierte »Gesinnungen« nur deshalb ab, weil sie die Menschen unendlich verarmen und verdummen!

                  Ich sehe nur noch mit Erstaunen, nicht mehr mit eigentlichem Verstehenwollen, zu, wie sich die kindischsten, ja viehischsten politischen Triebe als »Weltanschauungen« etc. präsentieren, ja die Gebärden von Religionen annehmen.

                  Diese Systeme haben mit dem Marxistischen Sozialismus gemein, dass sie die Menschen für nahezu unbegrenzt politisierbar halten, was sie nicht sind. Die Kämpfe der heutigen Welt halte ich größtenteils für eine Folge dieses Irrtums.

                  Zur Weltgeschichte – Hermann HesseGedanken - Essay

                  Autor*in: Hermann Hesse

                  Bewertung des Redakteurs:

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                    Wie sehen sie in der Ausrottung unzähliger Tier- und Pflanzenarten, dem Hinwelken des Schönen und Wohltuenden im Bild der Städte und Länder, im Gestank der Fabriken, dem Erkranken der Gewässer, und nicht minder im Erkranken und Hinwelken der Sprachen, der Werte, der Worte, der Denk- und Glaubenssysteme dahin siechen.

                    Entwicklung der Menschheit – Erich Kästner

                    Entwicklung der Menschheit – Erich Kästner
                    Entwicklung der Menschheit 

                    Entwicklung der Menschheit – Erich Kästner


                    Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
                    behaart und mit böser Visage.
                    Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
                    und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
                    bis zur 30. Etage.

                    Da saßen sie nun den Flöhen entflohn
                    in zentralgeheizten Räumen.
                    Da sitzen sie nun am PC oder Telefon
                    wie seinerzeit auf den Bäumen.

                    Sie hören weit. Sie sehen fern.
                    Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
                    Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
                    Die Erde ist ein gebildeter Stern
                    mit sehr viel Wasserspülung.

                    Sie schicken Nachrichten an jedes Ohr.
                    Sie jagen und züchten Mikroben.
                    Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
                    Sie fliegen steil in den Himmel empor
                    und bleiben zwei Wochen oben.

                    Was ihre Verdauung übrig lässt,
                    das verarbeiten sie zu Watte.
                    Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
                    Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
                    dass Cäsar Plattfüße hatte.

                    So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
                    den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
                    Doch davon mal abgesehen und
                    bei Licht betrachtet, sind sie im Grund
                    noch immer die alten Affen.

                    Entwicklung der Menschheit – Erich Kästner - Gedicht

                    Autor*in: Erich Kästner

                    Bewertung des Redakteurs:

                    URL: https://aventin.blogspot.com/2020/09/entwicklung-der-menschheit.html

                      Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur 30. Etage.

                      Als die Menschen geschaffen wurden

                      Als die Menschen geschaffen wurden – Maya Märchen
                      Als die Menschen geschaffen wurden  

                      Als die Menschen geschaffen wurden - Maya Märchen 


                      Hier ist nun der Anfang, als entschieden wurde, den Menschen zu erschaffen, und was in das Fleisch des Menschen eingehen sollte, wurde gesucht.

                      Und die Vorväter, der Schöpfer und der Macher, die genannt wurden Tepeu und Gucumatz, sagten: »Die Zeit des Morgengrauens ist gekommen, lasst uns das Werk beenden. Lasst jene, die uns ernähren und erhalten sollen, erscheinen, die edlen Söhne, die zivilisierten Vasallen, lasst den Menschen erscheinen. Lasst die Menschlichkeit entstehen im Angesicht der Erde.« So sprachen sie.

                      Sie versammelten sich und hielten Rat in der Dunkelheit und in der Nacht. Sie redeten und suchten. Sie dachten nach und grübelten. Auf diese Art kam ihre Entscheidung klar ans Licht. Sie fanden und entdeckten, was eingehen sollte in das Fleisch des Menschen.

                      Es war, gerade ehe die Sonne, der Mond und die Sterne erschienen über dem Schöpfer und dem Macher. Von Paxil, von Cayalá kamen die Sprossen des gelben Mais und die Sprossen des weißen Mais.

                      Und dies sind die Namen jener Tiere, die die Nahrung brachten: yac (die Gebirgskatze), utiú (der Kojote), quel (ein kleiner Papagei) und bob (die Krähe). Diese vier Tiere riefen den gelben Mais und den weißen Mais und wiesen den Pflanzen den Weg. So erfanden sie die Nahrung, und dies war es, was in das Fleisch des erschaffenen Menschen einging; dies war es, woraus das Blut des Menschen gemacht wurde.

                      Und die Menschen waren erfüllt von Freude, weil sie ein schönes Land vorfanden, voll der Freuden, üppig gefüllt mit weißem und gelbem Mais und voll unzähliger anderer Früchte und Honig. Es gab Nahrung in Hülle und Fülle in jenen Dörfern, die Paxil und Cayalá hießen. Es gab Nahrung aller Art, kleine und große Nahrung, kleine Pflanzen und große Pflanzen.

                      Die Tiere wiesen dem Mais den Weg. Und dann mahlend den gelben und weißen Mais machte Xmucané neun Getränke. Davon kam die Stärke. So wurden den Menschen Muskeln. Dies taten die Vorväter, Tepeu und Gucumatz wurden sie genannt.

                      Danach begannen sie über die Schöpfung zu reden, über die Schöpfung unserer ersten Mutter und unseres ersten Vaters. Der gelbe und weiße Mais waren ihr Fleisch. Maismehl war es, aus dem sie die Arme und die Beine des Menschen machten. Nur Teig von Maismehl wurde verwendet für das Fleisch unserer ersten Väter. Vier Männer wurden erschaffen. Und dies waren ihre Namen: Balam-Quitzé, Balam-Acab, Mahucutah und Iqui-Balam.

                      Es ist überliefert, dass sie gemacht und geformt wurden, dass sie selbst keine Mutter und keinen Vater hatten. Man nannte sie nur Menschen. Sie wurden nicht von einer Frau geboren, noch wurden sie vom Schöpfer oder vom Macher gezeugt. Und da sie das Aussehen von Menschen hatten, waren sie Menschen. Sie redeten, sahen, hörten, gingen, griffen nach Dingen. Sie waren gut und schön. Ihre Gestalt war die Gestalt des Menschen.

                      Sie waren begabt mit Verstand. Sie sahen. Und sofort sahen sie weit, und es gelang ihnen zu sehen und zu wissen all das, was in der Welt war. Sie schauten, und sofort sahen sie alles rings um sich, und bei angestrengtem Sehen sahen sie über den ganzen Bogen des Himmels und über das ganze Gesicht der Erde hin.

                      Alle Dinge, verborgen in der Ferne, sahen sie, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Groß war ihr Wissen, und ihr Sehen erreichte die Wälder, die Felsen, die Seen, die Meere, die Gebirge und die Täler. Wirklich, es waren bewunderungswürdige Menschen.

                      Da sprachen der Schöpfer und der Macher zu ihnen: »Wie denkt ihr über euer Sein. Seht ihr nicht? Hört ihr nicht? Ist es nicht gut, dass ihr sprechen und gehen könnt? Schaut also. Vertieft euch in die Welt, seht die Gebirge und die Täler erscheinen. Versucht, sie zu schauen.«

                      Dies sagten sie zu den ersten vier Männern. Und augenblicklich sahen die ersten vier Männer, was da alles ist auf der Welt. Dann dankten sie dem Schöpfer und dem Macher: »Wirklich, wir danken euch zwei- und dreimal. Wir sind erschaffen worden. Wir haben einen Mund, ein Gesicht. Wir sprechen, wir hören, wir denken, wir gehen, wir fühlen uns vollkommen, und wir wissen, was weit und was nah ist. Wir sehen, was groß und was klein ist im Himmel und auf Erden.«

                      Sie waren fähig, alles zu wissen, und sie betrachteten die vier Ecken, die vier Punkte des Himmelsbogens und das ganze runde Gesicht der Erde.

                      Aber der Schöpfer und der Macher hörten das gar nicht gern: »Es ist nicht gut, dass unserer Arbeit Ergebnis, unsere Geschöpfe, sagen, sie wüssten alles, Großes und Kleines«, so sprachen sie.

                      Und also hielten die Vorväter wieder Rat.

                      »Was sollen wir mit ihnen machen? Richten wir es so ein, dass sie nur sehen, was nahe ist. Lasst sie nur wenig sehen vom Gesicht der Erde. Es ist nicht recht, was sie sagen. Wer weiß, vielleicht sind sie doch nicht einfach Geschöpfe unserer Hervorbringung? Vielleicht sind sie auch Götter? Und wenn sie sich nicht vermehren, was wird beim Morgengrauen geschehen, wenn die Sonne aufgeht?« Also sprachen sie.

                      »Lasst uns ihre Wünsche etwas einschränken. Denn so ist es nicht recht. Sie sollten wirklich nicht uns gleich und ebenbürtig sein.« Also sprachen die Vorväter, der Schöpfer und der Macher. Also sprachen sie und veränderten das Wesen ihrer Kreaturen.

                      Das Herz des Himmels blies Nebel in die Augen der ersten Männer. Ihr Blick wurde getrübt wie ein Spiegel, auf den man haucht. Ihre Augen wurden abgedeckt. Sie konnten nur noch sehen, was nahe und was deutlich war.

                      Auf diese Art wurde die Weisheit und all das Wissen der vier ersten Männer zerstört.

                      Dann wurden die Frauen gemacht. Gott selbst machte sie sorgfältig. Und so im Schlaf tauchten sie plötzlich auf, wahrhaftig und schön, die Frauen des Balam-Quitzé, Balam-Acab, des Mahucutah und des Iqui-Balam. Sie waren ihre Frauen, und als sie erwachten und sie fühlten, war sofort ihr Herz mit Freude erfüllt, weil sie nun Frauen hatten…

                      Viele Menschen wurden gemacht, und in der Dunkelheit vermehrten sie sich. Weder die Sonne noch das Licht waren bisher gemacht, als sie sich so vermehrten.

                      Alle lebten zusammen. Sie waren vorhanden in großer Zahl: die schwarzen Menschen und die weißen Menschen, Menschen vieler Klassen, Menschen vieler Zungen, und es war herrlich, ihnen zuzuhören.

                      Es gibt Generationen auf der Welt, es gibt Völker in Ländern, deren Gesicht wir nicht sehen, die kein Heim haben. Sie wandern nur durch die kleinen und großen Wälder wie Verrückte. So spricht man verächtlich von den Menschen des Waldes. So redeten sie dort, wo sie die aufgehende Sonne sahen. Die Rede von allen war gleich. Sie beschworen nicht Holz noch Stein. Sie erinnerten sich des Wortes des Schöpfers und des Machers, des Herzens des Himmels, des Herzens der Erde.

                      Und dies sprachen sie, während sie an das Heraufziehen der Morgendämmerung dachten. In diesen Worten beteten sie zu Gott, liebend, gehorsam, furchtvoll. Sie blickten zum Himmel, wenn sie um Söhne und Töchter baten und sprachen: »Oh, du, Schöpfer und Macher! Schaut auf uns, hört uns an. Verlasst uns nicht, gebt uns nicht auf. Oh, Gott, der du bist im Himmel und auf Erden, Herz des Himmels, Herz der Erde, gib uns Nachkommen, solange die Sonne sich bewegt, und Licht ist.«

                      »Lass den Tag anfangen. Gib uns viele gute Straßen, flache Straßen. Mögen die Völker Frieden haben, viel Frieden, und mögen sie glücklich sein. Gib uns ein gutes Leben, eine sinnvolle Existenz. Oh, ihr, Huracáb, Chipi-Caculgá, Raxa-Caculhá, Chipi-Nanauac, Raxa-Nanauac, Voc, Hunahpú, Tepeu, Gucumatz, Alom, Quaholom, Xpiyacoc, Xmucané, Großmutter der Sonne, Großmutter des Lichts, lass es tagen, lass das Licht kommen.«

                      Und so sprachen sie und beteten das Aufgehen der Sonne herbei, die Ankunft des Tages. Und zur selben Zeit sahen sie das Aufgehen der Sonne. Sie dachten an den Morgenstern, den Großen Stern, der vor der Sonne kommt, der das Himmelsgewölbe erleuchtet und die Oberfläche der Erde, der die Schritte der Menschen erhellt, die geschaffen worden und gemacht waren.

                      Als die Menschen geschaffen wurden – Maya Märchen – Mittelamerika

                      Autor*in: Märchen Mittelamerika

                      Bewertung des Redakteurs:

                      URL: https://aventin.blogspot.com/2020/09/als-die-menschen-geschaffen-wurden.html

                        Hier ist nun der Anfang, als entschieden wurde, den Menschen zu erschaffen, und was in das Fleisch des Menschen eingehen sollte, wurde gesucht.

                        Wahrheit und Erkenntnis - Wandel

                        Wahrheit und Erkenntnis – Hermann Hesse – Wandel
                        Wahrheit und Erkenntnis   

                        Wahrheit und Erkenntnis - Wandel - Hermann Hesse  


                        Alle Erkenntnis, wenn man darunter etwas Lebendiges und nicht Akademisches versteht, hat nur einen Gegenstand. Und dieser wird von Tausenden und tausendfach erkannt und meint doch stets nur eine Wahrheit …

                        Es ist die Erkenntnis von der Möglichkeit, alle Gegensatzpaare aufzuheben, alles Weiß in Schwarz, alles Böse in Gut, alle Nacht in Tag zu verwandeln.

                        Der Inder sagt »Atman«, der Chinese sagt »Dao«, der Christ sagt »Gnade«.

                        Wo jene höchste Erkenntnis da ist, wie bei Jesus, Buddha, Plato oder Lao Tse, da wird eine Schwelle überschritten, hinter der die Wunder beginnen. Da hört Krieg und Feindschaft auf.

                        Man kann davon im NT und in den Reden Gotamas lesen, und wer will, kann auch darüber lachen und es »Verinnerlichungsrummel« heißen. Wer es aber erlebt, dem wird der Feind zum Bruder, der Tod zur Geburt, die Schmach zur Ehre und das Unglück zu Schicksal.

                        Jedes Ding auf Erden zeigt sich doppelt, einmal als »von dieser Welt« und einmal als »nicht von dieser Welt«.

                        »Diese Welt« aber bedeutet, was »außer uns« ist. Alles, was außer uns ist, kann Feind, kann Gefahr, kann Angst und Tod werden. Mit der Erfahrung, dass all dies »Äußere« nicht nur Gegenstand unserer Wahrnehmung, sondern zugleich Schöpfung unserer Seele ist.

                        Mit der Verwandlung des Äußeren in das Innere, der Welt in das Ich, beginnt das Tagen.

                        Wahrheit und Erkenntnis - Wandel - Hermann Hesse - Essay

                        Autor*in: Hermann Hesse

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                          Alle Erkenntnis, wenn man darunter etwas Lebendiges und nicht Akademisches versteht, hat nur einen Gegenstand. Und dieser wird von Tausenden und tausendfach erkannt und meint doch stets nur eine Wahrheit …

                          Konventionelle Ausdrucksformen

                          Konventionelle Ausdrucksformen – R.M.F – Alltagspsychologie
                          Konventionelle Ausdrucksformen  

                          Konventionelle Ausdrucksformen – R.M.F – Alltagspsychologie 


                          Man nimmt vielfach an, die Sprache des mimischen Ausdrucks sein ein Esperanto, das alle Menschen verstehen würden.

                          Und sicherlich ist das, im Hinblick auf die Urgesten, richtig; geht doch deren Verständlichkeit über den Kreis der Menschen hinaus, werden doch auch Hunde von unserem drohenden Blick geschreckt, ja Löwen vom festen Auftreten des Dompteurs gebändigt.

                          In der Überzeugung, dass bei primitiven Menschen, bei Wilden, Kindern und Geisteskranken der reinste, urtümlichste Ausdruck zu finden sei, studieren unsere Expressionisten, die Künstler, die den möglichst gesteigerten Ausdruck als höchste Macht der Kunst verehren, die Plastiken der Ureinwohner, die Zeichnungen der Kinder und Paranoiker. Hier glauben sie, die reine Natur zu finden.

                          Und doch irren sie, wenn sie meinen, dort einen ganz reinen und unkonventionellen Ausdruck zu finden. Wo immer eine Gemeinschaft besteht, wird der Ausdruck auch konventionalisiert, wenn auch die meisten dieser Konventionen als Variationen der Urgesten erkennbar bleiben. Aber wir wissen vielfach nicht, was noch Urgeste, was schon konventionell ist.

                          Die meisten Europäer meinen, dass das Nicken mit dem Kopf als Zeichen der Bejahung, das Schütteln des Kopfes als Zeichen der Verneinung, dass Kuss als Zeichen der liebenden Vereinung »Natur« seinen, jenem Esperanto der Gefühlssprache angehörten. Sie sind aber dann erstaunt zu lesen, dass zum Beispiel die Orientalen vielfach als Zeichen der Bejahung den Kopf zurückwerfen, als Zeichen der Verneinung mit dem Kopf nicken, dass viele Völker den Kuss als Geste der Neigung nicht kennen, statt dessen aber die Nasen aneinander reiben.

                          Diese Verschiedenheiten beweisen, dass vieles, was wir für »Natur« halten, in Wahrheit Konvention ist, wenn auch die meisten dieser Konventionen doch nur andere Varianten der gleichen Urgeste sind, wie denn sowohl das Küssen wie das Nasenreiben nur symbolische Variationen der Urgeste der Vereinigung sind.

                          Es ist daher fesselnd, in den mancherlei konventionellen Gesten, die in jeder größeren Gemeinschaft als festes Kulturgut bestehen, die Urgesten aufzuspüren, das Urthema in den buten Variationen, von denen die Völkerkunde berichtet. Außerordentlich durchsichtig sind die Höflichkeitsformen, zum Beispiel die Grußetikette, die in keiner Gemeinschaft fehlt und bei manchen Völkern zu noch geschlossenerem Zeremoniell ausgebildet ist als bei modernen Europäern.

                          Nehmen wir zunächst die Mimik der Ehrerbietung, die darin besteht, dass man dem anderen ausdrücken will, man stelle dessen Person über die eigene, was allerdings unter Gleichgestellten meist in der Voraussetzung geschieht, dass der andere die gleiche Gefühlsäußerung zurück gibt.

                          Als Urgeste der Ehrerbietung, das heißt der betonten Herabsetzung des eigenen Selbst gegenüber dem anderen, erkannten wir die Selbstverkleinerung, die im anderen ein Gefühl der Selbsterhöhung hervorruft. Als Varianten dieser Selbstverkleinerung ergeben sich fast alle Ehrerbietigkeiten.

                          In mannigfachen Gradabstufungen vollzieht sich diese Urgeste. Selbstverkleinerung ist es, wenn der Untergebene sich flach auf den Boden wirft oder in die Knie sinkt, Selbstverkleinerung ist es, wenn wir verehrend uns verneigen, wenn unsere Damen den »Hofknix« ausführen, ja, wenn wir nur das Haupt beugen, die Augen niederschlagen oder den Hut abnehmen.

                          Bei den Orientalen tritt an Stelle dieser, ihnen unbekannten Geste die Bewegung der Hand von der Stirn oder der Brust erdwärts, eine symbolische Geste des Sichniederwerfens. Auch andere Gesten, so das Ablegen der Waffen vor einem Höhergestellten, kommen vor.

                          Schlagende Beispiele für ein Zeremoniell der unbedingten Ehrerbietung bietet das preußische Militärsystem.

                          Die Idee des willenlosen Gehorsams wird dadurch symbolisiert, dass der »Mann« oder die »Frau« tunlichst der Maschine, also dem willenlosen Werkzeug, angenähert wird. Das Strammstehen, das »Hände-an-die-Hosennaht-Legen«, die schroffen, eckigen Bewegungen erinnern durchaus an von Drähten bewegte Puppen, ein Bild, das sich am deutlichsten darstellt, wenn man an den berühmten Parademarsch mit seinen starren, unorganischen geraden Linien denkt.

                          Diesem Zeremoniell gegenüber ist der Gruß der römischen Legionäre durch freies Aufheben der Hand eher als Ausdruck eines Bekenntnisses zur römischen Staatsidee zu betrachten, was hinüberführt zu den Gesten der Selbsterhöhung.

                          Die Urgeste des Stolzes ist die Selbstvergrößerung. Diese wird beim Höhergestellten auch im Gruß gewahrt, es kommt nur zur »Herablassung«, das heißt einem geringen Herniedersteigen bei gewahrter Aufrechterhaltung. Solche Gesten der Herablassung sind das leichte Neigen des Kopfes beim Fürsten, die huldvolle Bewegung der Hand von oben nach unten, die Bitte an den sich Unterstellenden, sich zu bedecken, oder die Sitte des Mittelalters, dass der Fürst dem vor ihm knienden Ritter die Hand aufs Haar legte oder ihn emporzog. Auch der Segen des Priesters ist eine mit religiösem Zeremoniell verquickte Form der Herablassung.

                          Oft ist kaum mehr die Grenze zu ziehen zwischen Urgeste und Konvention. Wenn wir zum Zeichen der Freundschaft die Hände vereinen, uns umarmen, Arm in Arm gehen, so spielen beide Dinge ineinander, während wir die »Blutsbrüderschaft«, das Trinken eines Tropfen Bluts aus dem Arm des anderen bei manchen primitiven Völkern, nur als Konvention empfinden.

                          Aber die Urgeste der Vereinigung und Angleichung steckt auch hier unverkennbar darin. Wunderliche Blüten treibt besonders die erotische Konvention; doch erübrigt es sich, darauf einzugehen: ein Blick in einen modernen Ballsaal wird der Illustrationen genug erbringen, wie sich dort die sexuelle Urgeste mehr oder weniger verkappt betätigt.

                          Sobald aber bestimmte Konventionen eintreten, ist die Mimik nicht mehr »allgemein-menschlich«, ist sie nur innerhalb bestimmter Gruppen gültig. Das heißt, die angebliche Allerweltssprache spaltet sich in »Ausdrucksdialekte«. Jedes Volk hat neben gewissen dauernden Urgesten rein dialektische Ausdrucksformen, die freilich von der Wissenschaft kaum erforscht sind.

                          Immerhin ist man in der Kunstwissenschaft diesen Dingen auf der Spur, und ganz deutlich zeigt sich da, dass jedem Kunststil ein besonderer Ausdrucksdialekt zugrunde liegt. Wir sehen ganz deutlich die Unterschiede der Mimik und Physiognomik zwischen gotischen, zwischen Barock- oder zwischen Rokokostatuen, die, wenn auch die Urgeste des Schmerzes oder Stolzes stets erkennbar bleibt, diese doch in ganz typischer Weise variieren.

                          Natürlich lassen sich auch typische Gemeinsamkeiten bei anderen Gruppen oder Typen feststellen: die Geschlechter, die Altersklassen, die Völker, die sozialen Schichten haben jede ihre durchgehende Mimik, was zum Teil auf der biologischen Struktur, zum Teil auf sozialen Konventionen beruht.

                          Indem sich aber der Ausdruck konventionalisiert, ist er bereits nicht mehr reiner Ausdruck, ist er bereits Zwecken untergeordnet, die nicht mehr im Individuum bedingt sind, sondern überindividueller Natur sind, ja sich oft vom Leben ganz ablösen, gesellschaftliche Funktionen werden, die sich sogar dem Leben entgegenstellen.

                          Konventionelle Ausdrucksformen – R.M.F – Alltagspsychologie - Psychologie

                          Autor*in: R.M.F

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                            Man nimmt vielfach an, die Sprache des mimischen Ausdrucks sein ein Esperanto, das alle Menschen verstehen würden. Und sicherlich ist das, im Hinblick auf die Urgesten, richtig; geht doch deren Verständlichkeit über den Kreis der Menschen hinaus, werden doch auch Hunde von unserem drohenden Blick geschreckt, ja Löwen vom festen Auftreten des Dompteurs gebändigt.