Gesunde Lebensweise
Gesunde Lebensweise – Satire von Thaddäus Troll – Ernährung
»Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, klagte ich Barbara meinen geheimen Kummer. »Schon nach der zweiten Flasche Wein wird mir schwindlig, und die ganze Welt ist dann so verschwommen.«
»Managerkrankheit«, diagnostizierte sie gnadenlos. »Wir müssen uns in der Ernährung umstellen. Frühstücke wie ein König, iss zu Mittag wie ein Bürger und zu Abend wie ein Bettler!«
Das geschah. Barbara stand sehr früh auf, um ein königliches Frühstück zu bereiten. Zum Mittagessen gab es die übliche Bürgerspeise. Am Abend jedoch servierte Barbara abwechselnd zwei Stängel Petersilie mit etwas Zitronensaft, ein Gläschen köstlichen Wassers, das nach Chlor schmeckte, und ein Rändchen Brot oder ein Blättchen mit Milch benetzten Salats.
Das ungewohnte Frühstück machte mich müde und erregte eine gewaltige Arbeitsunlust. Abends knurrte mein Magen wie Nero, der Kettenhund, und bei Pianostellen im Freischütz tönte er das sanfte Ännchen in den Schatten. Nachts konnte ich vor Hunger nicht schlafen und stand jeden Morgen eine halbe Stunde früher auf, um in den Genuss des Frühstücks zu kommen. Schließlich hatte ich erreicht, dass wir schon um Mitternacht ein Frühstück zu uns nahmen, das so reichlich war, dass es einem die ganze Nacht im Magen lag.
Ein Glück war, dass die Zeitungen vom ärztlichen Kongress in Bad Sodbrand berichteten, bei dem festgestellt wurde, reichliches Essen belaste den Kreislauf und quetsche das Herz. Wir wurden blass, als uns aufging, wie gefährlich wir gefrühstückt hatten. Nach den in Bad Sodbrand gewonnenen Erkenntnissen nahmen wir nun recht viele und kleine Mahlzeiten zu uns. Wir aßen zehnmal am Tag und waren ununterbrochen mit Kochen, Tischdecken, Essen und Abwaschen beschäftigt.
Bis Barbara einen Vortrag von Professor Unverzagt besuchte, der sie über die Bedeutung der Trennkost aufklärte. Ganz verstört kam sie nach Hause und berichtete: Unserem Magen gleichzeitig die Verdauung von Fleisch und Kartoffeln zuzumuten sei ebenso vermessen, wie wenn man im Auto zu gleicher Zeit den ersten und den Rückwärtsgang einschalten wolle. In Zukunft müssten wir also Fleisch, Soße, Gemüse und Kartoffeln getrennt zu uns nehmen. Wir taten es, aber zwei Löffel Soße, getrennt von nackten Nudeln, wollten uns nicht so recht schmecken.
Als Barbara eines Tages zuerst ein rohes Ei, dann ein Glas Milch, hierauf eine Prise Salz auftrug und schließlich noch eine Schüssel Mehl auf den Tisch stellte, behauptend, dies sei eine als Trennkost servierte Omelette, drohte ich, nicht die Kost, sondern mich vom Tisch zu trennen.
Es wäre zu harten Familienfehden gekommen, hätte damals nicht der berühmte Internistenkongress in Bad Umsargen stattgefunden, an dem nur Ärzte mit eigenem Friedhof teilnehmen durften. Bei diesem Kongress wurde der Wert der Fastentage erkannt. Wer sich einen Tag in der Woche ausschließlich von Obst, Reis oder Weißwein ernähre, der lebe lange und vegetativ ungestört.
Wir entschieden uns für Weißwein, ließen es aber nicht bei einem ärmlichen Fastentag bewenden, sondern nährten uns eine Woche lang von viel Mosel mit wenig Weißbrot. Das war ein Leben! Der Wein steigerte das Lebensgefühl und machte so angenehm müde, dass man an Arbeit nicht einmal denken konnte.
Als mich nach dem achten Weintag die Polizei aufschrieb, weil ich auf einem Kinderspielplatz Passanten, die ich für weiße Elefanten hielt, mit Sand beworfen und dazu jugendgefährdende Lieder gesungen hätte, sahen wir ein, dass es so nicht weitergehen könne. Wir traten einem Verein für neuzeitliche Ernährung bei.
Ein Mann mit plissiertem Gesicht, der wie ein leberleidender Zwerg aussah, verkündete dort, das Rauchen führe unweigerlich zum Lungenkrebs, Alkohol schneide den Lebensfaden ab, und Fleisch verstopfe die Poren. Wir ließen von allem ab und lebten getreu den Richtlinien des Kongresses der Ideale. Bald fühlten wir uns grau und elend, wurden übellaunig, süchtig nach Tabak und Alkohol, und die Hoffnung, auf diese Weise zwanzig Jahre länger zu leben, wurde von der Frage »Wozu?« verdunkelt.
Wir entschlossen uns deshalb zu einer Knoblauchkur. Unsere Freunde verließen uns, in der Straßenbahn machte man uns achtungsvoll Platz, im Theater lichteten sich die Reihen um uns. Wir konnten uns gar nicht erklären, weshalb Knoblauch so isolierend wirkte. Aber schließlich lasen wir im LICHTFREUND, nach den neuesten Erkenntnissen von Professor Piffpaff, berge die einseitige Ernährung viele Gefahren. Nur Entspannung schütze vor frühem Hinscheiden, weshalb der Mensch, vielseitig ernährt, täglich eine volle halbe Stunde lang entspannt liegen müsse und dabei nichts denken dürfe.
Nun fühle ich mich bei der Tätigkeit des Nichtdenkens oft recht behaglich. Aber sobald ich nichts denken durfte, kamen mir die überflüssigsten und absonderlichsten Gedanken, und in dem Bemühen, nichts zu denken, ging oft der ganze Tag nutzlos dahin.
Dabei hatten wir uns angewöhnt, in allen Zeitungen nach den neuesten Erkenntnissen der Gesundheitspflege zu forschen. Bei einem Kongress in Bad Riesling wurde festgestellt, Alkohol löse Spasmen und entlaste den Kreislauf.
Wir fingen also wieder zu trinken an, bis uns Professor Bumskis Erkenntnis, Alkohol begünstige Kreislaufschäden und nur Yogaübungen könnten die Menschheit retten, das Glas aus der Hand schlug und uns, still vor uns hin meditierend, stundenlang auf den Kopf stellte, bis auf dem Chirurgenkongress in Schneidelust festgestellt wurde, Untätigkeit sei der Feind der Gefäße, wogegen der Sport ein langes Leben garantiere.
Da wir ziemlich untrainiert waren und ein ärztlicher Aufruf im Fachorgan der Friedhofsgärtner dringend vor Übertreibungen warnte, gaben wir uns leichtem Kartenspiel hin.
Die MEDIZINISCHE MONATSSCHRIFT berichtete indessen über den Heilwert von Leinsamen. Wir aßen unserem Wellensittich, der von diesem Anblick ein schweres Trauma bekam, das ganze Vogelfutter weg. Wir lebten salzlos – nein, es war kein Leben! -, reduzierten dann wieder die Getränke, verzichteten unseren Arterien zuliebe auf das Fett, bis uns Professor Sparbier im Rundfunk kundtat, es gebe nichts Schlimmeres, als im Hinblick auf seine Gesundheit zu leben, denn das fördere die Hypochondrie und führe zu seelischen Störungen, die sich nur zu leicht organisch auswirkten.
Seitdem rauchen wir wieder, trinken unseren Wein und essen, was uns schmeckt. Wir lesen keine Zeile mehr über gesunde Lebensweise. So elend wir uns vorher fühlten, so gut geht es uns jetzt.
Gesunde Lebensweise – Satire von Thaddäus Troll – Ernährung
Autor*in: Thaddäus Troll
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»Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, klagte ich Barbara meinen geheimen Kummer. »Schon nach der zweiten Flasche Wein wird mir schwindlig, und die ganze Welt ist dann so verschwommen.« »Managerkrankheit«, diagnostizierte sie gnadenlos. »Wir müssen uns in der Ernährung umstellen. Frühstücke wie ein König, iss zu Mittag wie ein Bürger und zu Abend wie ein Bettler!«