Typen des geistigen Lebens
Typen des geistigen Lebens - R.M.F - Alltagspsychologie
Es liegt an dem sekundären Charakter der geistigen Eigenart, dass sich auf dem Gebiet des geistigen Lebens die Typen nicht mit gleicher Schärfe ausprägen wie auf dem Gebiet des Trieb- und Gefühlslebens, da sie auch nicht so überwiegend das Leben bestimmen.
Immerhin sind die Unterschiede des geistigen Lebens, das Verhältnis des Ich zur Außenwelt, auch der landläufigen Seelenkunde nicht entgangen, wenn sie zum Beispiel “Sinnesmenschen – Phantasiemenschen und Verstandesmenschen” unterscheidet.
Da wir auch auf diesem Gebiet systematisch zu Werk gehen wollen, stellen wir die Frage, welche besondere Art der Verarbeitung von Außenweltseindrücken die Eigenart der Individuen unterscheidend kennzeichnet.
Sinnesmensch:
Beginnen wir mit dem Typus des “Sinnesmenschen“, der vor allem die reinen Empfindungen als solche auf sich wirken lässt, wobei die verschiedenen Sinnesgebiete wiederum ungleich stark hervor treten. In frühester Jugend sind die meisten Menschen diesem Typus zugehörig. In späterem Alter ist diese Verhaltensweise vor allem bei Künstlern anzutreffen, die die Außenwelt nur auf Farben- oder Klangreize hin genießen.
Doch findet man auch unter Nichtkünstlern Menschen genug, die den reinen Sinneszauber und auch Sinnenkitzel vor allem suchen und ihr Verhalten demgemäß einrichten. Meist geht dieser Typus im fortschreitenden Alter in den des konkreten Beobachters über. Auch dessen Zugehörige haben geöffnete Sinne für Eindrücke der Außenwelt, belassen diese Eindrücke jedoch nicht im Zustand der reinen Empfindung, sondern gliedern und gestalten sie zu konkreten Wahrnehmungen.
Dem Blick solcher Menschen entgeht “nichts”, wie man landläufig zu sagen pflegt. Sie beobachten die geringsten Details und oft vorwiegend Details. Sie wissen nach einer Gesellschaft aufs genaueste anzugeben, welches Kleid ein jeder Teilnehmer getragen hat, sie können die Farbe von deren Augen und Haaren angeben, ihre Stimme nachahmen, kurz, ihr Interesse richtet sich auf die konkrete Wirklichkeit, die sie mit steckbriefhafter Exaktheit in sich aufnehmen.
Ordnungstypus:
Ob man daneben einen “Ordnungstypus” unterscheiden soll, einen, für dessen Seelenleben die räumliche oder zeitliche Zusammenordnung der Eindrücke entscheidend ist, dürfte als weniger sicher gelten. Gewiss ist immerhin, dass viele, auch gute Beobachter, diese Fähigkeit der Zusammenordnung ihrer Eindrücke nicht haben, während andere in erstaunlichem Maß imstande sind, selbst wenn sie die konkrete Einzelkenntnis nicht mehr haben, doch noch die räumliche oder zeitliche Ordnung aufs genaueste zu beherrschen.
Nicht ganz scharf zu scheiden sind auch die Typen, die sich danach ergeben, ob die erinnernde oder die kombinierende Vorstellung ihr Seelenleben beherrscht; denn wir sahen bereits, dass diese geistigen Anlagen stark ineinander spielen. Immerhin ist es möglich, “Gedächtnismenschen” und “Phantasiemenschen” zu unterscheiden.
Gedächtnismensch:
Der “Gedächtnismensch” lebt am liebsten in der Vergangenheit, weil oft seine Erinnerungen an Dinge und Erlebnisse ihm mehr Farbe und Gefühlswert geben als die konkrete Gegenwart.
Phantasiemensch:
Der “Phantasiemensch” hingegen lebt am liebsten in der Zukunft, weil er darin seine Fähigkeit des Kombinierens der Vorstellungen am freiesten betätigen kann. Ihm ist die Welt seiner Vorstellungen reicher als die sinnhafte Gegenwart, die ihm kalt und trocken vorkommt, während er den Gestaltungen seiner Phantasie weit mehr Farbe und Glanz zu leihen vermag.
Romantische Geistesart:
Was man im Alltagsleben als “Romantische Geistesart” bezeichnet, rekrutiert sich zum Teil aus solchen Erinnerungs,- und zum Teil aus solchen Phantasiemenschen.
Abstrakte Menschen:
Klar ausgeprägt ist der Typus des “Abstrakten Menschen“, bei dem die Fähigkeit der begrifflichen Abstraktion die gesamte Geistigkeit beherrscht. Wie dem Midas der Sage nach alles, was er berührte, zu Gold wurde, so wird dem abstrakten Menschen alles, was er sieht, hört und wahrnimmt zum “Begriff”.
Konkrete Menschen:
Sieht der “Konkrete Mensch” oft vor Bäumen den Wald nicht mehr, so sieht der “Abstrakte Mensch” nur Wald und keine Bäume. Weiß jener alle Details anzugeben, von dem was er gesehen hat, so kennt der abstrakte überhaupt keine Einzelheiten, sondern nur Begriffe. Er hat seine abstrakten Formeln bereit und ordnet die ganze Welt unter Regeln und Gesetze. Die Theorie ist ihm nicht grau, sondern die goldene Frucht vom grünen Baum des Lebens.
Schöpferische Menschen:
Letztlich des Typus des “Schöpferischen Menschen” ist dadurch gekennzeichnet, dass ihm die ganze Welt nur Rohstoff ist für seine Pläne, Ideen und Schöpfungen. Je nachdem er Künstler, Forscher oder Gestalter auf irgendeinem Gebiet des Kulturlebens ist, wird ihm alles, was er erlebt, zum Bild, zum Gedicht, zur wissenschaftlichen Entdeckung, zur Erfindung oder sonst einer schöpferischen Leistung. Sein ganzes Leben ist seinem Schöpfergeist unterstellt, und er sieht und denkt nur im Bann seiner schöpferischen Ideen.
Auch diese Einteilung ist nicht bloß Selbstzweck, sondern gibt, zusammen mit der Affekttypik, den Schlüssel für das Verständnis jener komplexen Typen, mit denen der Alltag rechnet. Zusammen mit den Besonderheiten des Trieblebens ist die Vorherrschaft bestimmter Geisteseinstellungen der entscheidende Faktor z. B. für die Alterstypen. Das Kind lebt vorwiegend in den Sinnen, der Heranwachsende vorwiegend in der Phantasie, der reife Mensch ist gekennzeichnet durch konkreteren Wirklichkeitssinn, während der ältere Mensch immer abstrakter zu werden pflegt.
Auch die Unterschiede zwischen Standes-, Kultur- und Volkstypen gehen außer auf Verschiedenheiten der Affektanlagen auf solche der geistigen Sonderart zurück. Dass der Naturmensch ähnlich wie das Kind vorwiegend in seinen Sinnen lebt, ist auch außerhalb der Wissenschaft bekannt. Dagegen ist zum Beispiel der Nordeuropäer weit abstrakter als etwa der Südeuropäer.
Besonders reizvoll ist es, das mannigfache Ineinanderspielen der einzelnen Komplextypen zu verfolgen und zu erkennen, dass zum Beispiel der Volkstypus wieder vom Alterstypus oder von einem dominierenden Standestypus entscheident bestimmt wird, was alles jedoch erst seine Erklärung findet, wenn man auf die aufgezeigten psychologischen Grundtypen zurück greift.
Bitte auch hier die aufgestellte Typik nicht als Selbstzweck anzusehen, nicht als Ausgeburt einer Neigung zur Schematisierung, sondern sie anzuwenden auf das Leben. Dann wird man finden, dass sie sehr lebendig wird.
Man versuche, seine Bekannten den einzelnen Typen zuzuordnen, man versuche auch die großen Gestalter der Kunst-, Literatur-, Religions- und übrigen Kulturgeschichte auf ihre typische Geistigkeit hin anzusehen, und man wird mit Erstaunen feststellen, dass sich die Stil- und Ideenbildung der Geistesgeschichte in ganz neuem Licht zeigt und dass sich viele Kämpfe und Gegensätze von Schulen, Stilen und Richtungen enthüllen als begründet in solchen psychologischen Typen.
Was war der Streit zwischen den Anhängern Böcklins und denen des Impressionismus? Der Streit von Phantasiemenschen mit Sinnesmenschen!
Was war der Kampf um Wagner? Wiederum der Streit der Sinnesmenschen, die sich mit den abstrakten Formalisten verbündeten, gegen einen Meister, der seinem Typus gemäß die Musik zu einer Phantasiekunst machen wollte!
Was ist in der Philosophie der Kampf zwischen Empiristen und Rationalisten? Wiederum der Streit konkret veranlagter Geister gegen Abstrakte!
Und vieles auch im Gegensatz zwischen Katholizismus und Protestantismus ging ebenfalls zurück auf den Gegensatz zwischen dem sinnhafter veranlagten Südländer und dem abstrakteren Nordländer.
Das nur als Andeutungen, wie die Erkenntnis der psychologischen Grundtypen hinein leuchten kann in die dunklen Untergründe, aus denen erhabenste Geistesschöpfungen keimen!
Typen des geistigen Lebens – R.M.F – Alltagspsychologie - Psychologie Typus Leben Geist
Autor*in: R.M.F
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Es liegt an dem sekundären Charakter der geistigen Eigenart, dass sich auf dem Gebiet des geistigen Lebens die Typen nicht mit gleicher Schärfe ausprägen wie auf dem Gebiet des Trieb- und Gefühlslebens, da sie auch nicht so überwiegend das Leben bestimmen.