Das Erleben des Menschen | AVENTIN Blog --

Das Erleben des Menschen

Das Erleben des Menschen - Verhältnis zum Typus – Alltagspsychologie
Das Erleben des Menschen 

Das Erleben des Menschen - Verhältnis zum Typus – Alltagspsychologie


Schicksal ist Charakter. Was ein Mensch erlebt, ist angelegt in seinem Wesen. Das »Was« des Erlebens ist bedingt durch das »Wie«, durch die formale Struktur der Seele.

Und doch ist das Was nicht völlig gleichgültig; nur ist zu bedenken, dass auch im Was stets das Wie darin steckt. Wohl kommt der Rohstoff des Erlebens von außen, aber Erlebnis wird er nur, wenn er verarbeitet wird von der Seele. Niemals wird das Erlebnis von außen allein gegeben, stets ist es die Seele, die auswählt, aufnimmt oder verwirft.

Die Seele des depressiven Menschen füllt sich mit düsteren Eindrücken auch in einer Umwelt, die anderen als heiter gilt, ja die Heiterkeit der Umwelt wird ihm selbst zum niederdrückenden Erlebnis.

Die Seele des lebensstarken Menschen dagegen kann froh und hochgemut bleiben auch in Armut und Elend, ja oft genug erblüht ihre Heiterkeit gerade im Gegensatz zu der düsteren Umwelt.

Dies als Leiterkenntnis vorausgestellt, können wir nunmehr als Ergänzung vornehmen, dahin gehend, dass auch das Was das Wie beeinflussen kann, dass das Schicksal zwar Charakter ist, aber nicht nur Charakter, dass alle Erlebnisse zwar in erster Linie von der Seele her bestimmt sind, aber nicht nur von der Seele, dass auch die Außenwelt zur Formung der Seele beitragen kann, wenn auch weniger, als man gemeinhin annimmt.

Dazu sind die Individuen verschieden in ihrer Selbstständigkeit der Umwelt gegenüber: während es Menschen gibt, die souverän die Umwelt meistern, gibt es auch amorphe Charaktere, die ihr Gepräge überwiegend von außen zu empfangen scheinen, obwohl – strenggenommen – auch die Schwäche ihrer Eigenart bereits zum Wesen ihres Ich gehört.

Wir kommen damit an die bisher kaum berührte schwierige Frage der Entstehung der Typen heran. Gewiss ist angeborene Anlage wichtig, ja vielfach entscheidend für die Ausprägung des Typus; indessen kann er bis zu gewissem Grad umgeformt werden durch Erlebnisse.

So souverän das Ich der Umwelt gegenüber dasteht, so entschieden es seinen Bedürfnissen gemäß auswählt unter den Reizen der Umwelt, sie seiner Struktur gemäß verarbeitend: zuweilen drängen sich doch Eindrücke überstark auf, vergewaltigen die Seele, formen sie um bis in den Grund hinein. Es gibt Fälle, wo solche Eindrücke und Erlebnisse ein ganzes Leben hindurch nachwirken, vielleicht dem Bewusstsein nicht mehr gegenwärtig, nur aus dem Unterbewusstsein als dumpfer Komplex noch herausgreifend.

Oft gibt erst die Kenntnis eines solchen Erlebnisses oder einer Gruppe von Erlebnissen den Schlüssel zum Verständnis eines Menschen. Besonders Ereignisse der frühesten Jugend, in der das Ich noch weich und bildsam ist, weisen oft dem ganzen späteren Leben eine Richtung, die der angeborenen Anlage geradezu entgegengesetzt ist.

Von Natur heitere Menschen können durch traurige Ereignisse auf Jahre hin verdüstert werden; eine brutale Erschütterung des Geschlechtslebens kann dies für alle Zeit zerrütten; Krankheiten können das Ich bis tief in die physiologische Struktur des Körpers hinein umformen.

Man hat versucht, die Entwicklung der Individualität auf die Formel: »Vererbung plus Milieu« zu bringen. Das ist so richtig etwa wie der Satz, dass zum Aufbau des Körpers feste, flüssige und gasförmige Stoffe gehören; denn er ist eine Banalität, und dazu ein Scheinlösung, weil er eine bekannte Größe durch zwei andere Unbekannte, deren Beziehung zueinander ebenfalls unbekannt ist, »erklärt«.

Erwidert man, es sei wohl die Vererbung unbekannt, man könne sie jedoch durch Subtraktion des immerhin bekanntes »Milieus« errechnen, so erwidere ich, dass uns auch das Milieu insofern unbekannt ist, als jedes Milieu sich aus tausenderlei Einzelinhalten zusammensetzt, die niemals alle zum Erlebnis werden.

Vielmehr entsteht zunächst die Frage, was denn vom Milieu zum Erlebnis wird und in welcher Weise. Denn auf den einen Menschen wirken im gleichen Armenmilieu nur die revolutionierenden, auf einen anderen nur wie wehmütigen, auf einen dritten die humoristisch-grotesken Elemente.

Jeder dieser drei Typen lebt in Wahrheit, und auch wenn alle im gleichen Haus wohnen, in einem anderen Milieu, dessen Auswahl gewiss von der ererbten Anlage bedingt ist, aber das doch auch wieder die ererbte Anlage stärkt und nährt.

Zum »Erlebnis« wird das »Milieu« erst dadurch, dass das Ich, das freilich schon nach den ersten Tagen seines Erdenlebens nicht mehr reine Vererbung ist, in seiner Struktur dadurch berührt und zur Stellungnahme, die oft eine starke Umstellung ist, herausgefordert wird. Zum Erlebnis also werden uns die äußeren Einwirkungen nur, wenn sie in die Tiefe der Seele, in den Bereich des Fühlens und Wollens aufgenommen werden als Pfropfreiser, die aus den Tiefen des Ichs gespeist werden.

Denn die Seele des Menschen ist kein Holzblock, an dem die Außenwelt herumschnitzt, sie ist auch kein Kasten, in den man beliebige Samenkörner hinein füllen kann, sie ist selbst lebendiger Same, der aus einem tausenderlei Stoff enthaltenden Humus die ihm gemäßen herauszieht, aber dabei doch durch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einzelner nahrungspendender Elemente beeinflusst wird.

Denn alle seelischen Anlagen müssen angeregt, genährt und befruchtet werden, sonst verkümmern sie oder werden umgebogen, und in diesem Sinn sind die äußeren Eindrücke, das »Was« des Erlebens, wichtig genug.

Um nun die Entwicklung einer menschlichen Individualität in ihrer Besonderheit zu verstehen, muss man außer ihrer formalen Struktur auch diejenigen Eindrücke und Ereignisse kennen, die sich fruchtbar erwiesen haben; aber man muss diese Ereignisse auch nach der Art ihrer Einwirkung kennen, die sehr verschieden sein kann, je nachdem sie dem angeborenen Typus gemäß oder nicht gemäß ist.

Das Erleben und sein Verhältnis zum TypusAlltagspsychologie  - Psychologie

Autor*in: R.M.F

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    Schicksal ist Charakter. Was ein Mensch erlebt, ist angelegt in seinem Wesen. Das »Was« des Erlebens ist bedingt durch das »Wie«, durch die formale Struktur der Seele. Und doch ist das Was nicht völlig gleichgültig; nur ist zu bedenken, dass auch im Was stets das Wie darin steckt.