Der gordische Knoten - Erich Kästner | AVENTIN Blog --

Der gordische Knoten - Erich Kästner

Der gordische Knoten – Erich Kästner – Alexander der Große
Der gordische Knoten 


Der gordische Knoten - Erich Kästner - Leben 


Wir alle kennen ihn noch aus der Geschichtsstunde, den makedonischen Alexander. Und auch die Anekdote mit dem berühmten gordischen Knoten kennen wir noch, die dem jugendlichen Eroberer nachgesagt wird.

Als der junge Alexander in Gordium einzog und von dem kunstvoll verschlungenen Knoten hörte, den bislang kein Mensch hatte aufknüpfen können, ließ er sich stracks hinführen. Er sah sich das berühme Ding von allen Seiten an, bedachte den Orakelspruch, der dem Auflöser des Problems großen Erfolg und weit hallenden Ruhm verhieß, zog kurz entschlossen sein Schwert und hieb den Knoten mitten durch.

Die Anhänger des Alexanders jubelten natürlich. Und man pries die Intelligenz und Originalität des jungen Königs. Das ist nicht gerade verwunderlich. Aber eines muss ich allerdings dazu ganz offen sagen, meine Mutter hätte nicht dabei sein dürfen! Und warum?

Wäre meine Mutter daneben gestanden, hätte es bestimmt großen Ärger gegeben. Denn wenn ich als Junge, kein Haar weniger originell und intelligent als Alexander, beim Aufmachen eines verschürten Kartons kurz entschlossen mein Schwert, beziehungsweise man Taschenmesser gezogen hätte, um den gordischen Bindfaden zu durchschneiden, hätte ich sicherlich von mütterlicher Seite Ansichten zu hören bekommen, die denen des Orakels diametral widersprachen und die jubelnden Truppen aus Makedonien außerordentlich verblüfft hätten.

Alexander war bekanntlich ein großer Kriegsheld, und die Perser, Meder, Inder und Ägypter pflegten Tag und Nacht vor ihm zu zittern. Meine Mutter hätte sich diesem Gezitter nicht angeschlossen. »Knoten schneidet man nicht durch!« hätte sie in strengem Ton gesagt. »Das gehört sich nicht, Alex! Einen Strick kann man immer gut gebrauchen!«

Und wenn Alexander der Große nicht so jung gestorben, sondern ein alter, weiser Mann geworden wäre, hätte er sich vielleicht eines Tages daran erinnert und bei sich gedacht: »Diese Frau Kästner, damals in Gordium, hatte gar nicht so unrecht. Knoten schneidet man nicht durch. Wenn man es trotzdem tut, sollten die Leute dazu nicht jubeln. Und wenn sie jubeln, sollte man sich wenigstens nichts darauf einbilden!«

Ich habe in den verflossenen Jahren gelegentlich kurze gereimte Epigramme geschrieben und in einer kleiner Mappe aufgehoben. Eines dieser Epigramme beschäftigt sich zufälligerweise mit dem gordischen Knoten.

Den unlösbaren Knoten zu zersäbeln,
gehörte zu dem Pensum Alexanders.
Und wie hieß jener, der den Knoten knüpfte?
Den kennt kein Mensch!

Und es ist wirklich so. Merkwürdig, nicht? Da setzt sich jemand auf seinen Hosenboden und bringt mit viel Fleiß, Gescheitheit und Geschick einen Knoten zustande, der so raffiniert geschlungen ist, dass ihn kein Mensch auf der Welt aufknüpfen kann. Und genau den, der das Kunststück fertig brachte, hat uns die Geschichte nicht überliefert!

Aber wer das Taschenmesser heraus gezogen hat, das wissen wir natürlich! Die Historiker haben seit Jahrtausenden eine Schwäche für starke Männer. Auf steinernen Tafeln, auf Papyrusrollen, auf Pergamenten und in dicken Büchern schwärmen sie von Leuten, welche die Probleme mit Schwertstreichen zu lösen versuchten.

Aber davon zu berichten, wie sich die Fäden des Schicksals manchmal unlösbar verschlingen, das interessiert sie viel weniger. Und darüber zu schreiben, wie seltsame Idealisten solche Schicksalsverknotungen friedlich zu entwirren versuchen, ödet sie an.

Dem Zerhacken der Knoten gilt ihr pennälerhaftes Interesse, und sie haben nicht wenig dazu beigetragen, die alten gordischen Methoden weiterhin in Ansehen und am Leben zu erhalten.

Jetzt haben wir gerade wieder einmal das Vergnügen, persönlich dabei sein zu dürfen, wie so ein Knoten zersäbelt, anstatt aufgelöst wird.

Es ist kolossal interessant. Die Haare stehen einem dabei zu Berge, soweit sie uns noch nicht ausgegangen sind. Und während sich auf internationalen Konferenzen Abgesandte aus aller Welt abquälen, die neuen Knoten zu entwirren, die sich allenthalben gebildet haben, sitzen, nicht zuletzt auch bei uns, schon wieder Anhänger der Säbeltheorie herum und knurren: »Ist ja alles Quatsch! Wozu sich lange quälen? Durchschlagen ist das einzig Richtige!«

Ich finde, man könnte wirklich langsam dazu übergehen, statt der Knoten diese Leute zu knüppern, die solche Ratschläge erteilen.

Der gordische Knoten – Erich Kästner - Story

Autor*in: Erich Kästner

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    Wir alle kennen ihn noch aus der Geschichtsstunde, den makedonischen Alexander. Und auch die Anekdote mit dem berühmten gordischen Knoten kennen wir noch, die dem jugendlichen Eroberer nachgesagt wird. Als der junge Alexander in Gordium einzog und von dem kunstvoll verschlungenen Knoten hörte, den bislang kein Mensch hatte aufknüpfen können, ließ er sich stracks hinführen.