Semmeln und Fische
Semmeln und Fische - Fabel von Ludwig Bechstein
Ein Hase und ein Fuchs zogen miteinander durch das Land. Es war Winterszeit, der Wind blies kalt, kein Gras grünte, und auf den schneebedeckten Feldern zeigte sich auch nicht die armseligste Maus.
»Das ist ein trauriges Wetter«, sprach der Fuchs zum Hasen, »mir ist schon ganz schwach im Magen!«
»Jawohl«, antwortete der Hase, »ich möchte auch am liebsten meine eigenen Löffel fressen, wenn sie mir ins Maul herabhängen würden.«
Hungrig und trübsinnig trabten sie weiter. Da sahen sie von weitem ein Mädchen kommen, das einen Handkorb trug, und aus dem Korb kam dem Fuchs und dem Hasen ein sehr angenehmer Geruch von frischen Semmeln entgegen.
»Weißt du was?« sprach der Fuchs. »Lege dich der Länge nach hin und stell dich tot! Das Mädchen wird seinen Korb aus den Händen legen und dich aufheben wollen, denn aus deinem Fell kann sie sich Handschuhe machen. Inzwischen packe ich den Korb mit den Semmeln und verschwinde einfach damit.«
Dem Hasen gefiel der Rat des Fuchses gut, er ließ sich hinfallen und tat so, als wäre er tot. Der Fuchs duckte sich derweil hinter einer Schneewehe nieder. Das Mädchen kam, sah den Hasen, der alle viere von sich streckte, stellte den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen.
Jetzt schnellte der Fuchs hervor, schnappte den Korb und lief damit querfeldein davon. Gleich war der Hase auch wieder lebendig und rannte flugs seinem Begleiter nach. Dieser aber blieb nicht stehen und machte auch keine Miene, die Semmeln redlich teilen zu wollen, sondern ließ merken, dass er sie allein fressen wollte. Das verdross den Hasen sehr. Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamen, rief der Hase dem Fuchs zu:
»Wie wäre es, wenn wir uns noch eine Mahlzeit Fische zu den Semmeln verschafften? Wir hätten dann Fische und Weißbrot, wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz einfach ein wenig ins Wasser! Die Fisch, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, werden sich sicherlich massenhaft daranhängen. Beeil dich aber, sonst friert der Weiher noch zu!«
Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging zum Weiher hin, der eben zufrieren wollte, und ließ seinen Schwanz hineinhängen. Nach einer kleinen Weile aber war seine Lunte bereits fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, hockte sich vor den Fuchs hin und fraß die Semmeln ganz gemächlich, eine nach der anderen auf.
Dann verspottete er auch noch den Fuchs: »Warte nur, bis es wieder auftaut, warte nur bis zum Frühjahr, warte nur!« und lief davon. Der Fuchs konnte ihm nur noch nachjaulen, wie ein böser Hund an der Kette.
Lehre: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt am Ende selbst hinein.
Semmeln und Fische – Fabel Ludwig Bechstein - Fuchs und Hase
Autor*in: Ludwig Bechstein
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Ein Hase und ein Fuchs zogen miteinander durch das Land. Es war Winterszeit, der Wind blies kalt, kein Gras grünte, und auf den schneebedeckten Feldern zeigte sich auch nicht die armseligste Maus. »Das ist ein trauriges Wetter«, sprach der Fuchs zum Hasen, »mir ist schon ganz schwach im Magen!«