September 2019 | AVENTIN Blog --

Der Igel und der Maulwurf

Der Igel und der Maulwurf – Fabelvariation Aesop - Gastfreundschaft Besuch
Der Igel und der Maulwurf 

Der Igel und der Maulwurf - Fabelvariation Aesop

Besuch und Gastfreundschaft 


Der Igel spürte, dass der Winter sich nahte, und bat daher den Maulwurf, ihm ein Plätzchen in seiner Höhle einzuräumen, damit er in der kalten Jahreszeit gegen die Kälte geschützt sei. Der Maulwurf hatte nichts dagegen, doch kaum hatte er dem Igel Einlass gewährt, machte es sich dieser sehr bequem, breitete sich aus, und sein Wirt stach sich alle Augenblicke, bald hier, bald da, an den Stacheln seines neuen Gastes.

Jetzt erst erkannte der arme Maulwurf seine übereilte Gastfreundschaft, schwur gegenüber seinem Gast hoch und teuer, dass ihm dies unerträglich sei und bat den Igel wieder hinauszugehen, weil seine viel zu kleine Wohnung unmöglich beide fassen könne.

Der Igel aber lachte nur und sprach: »Wem es hier nicht gefällt, der ziehe eben aus! Ich für meine Person bin hier sehr wohl zufrieden und werde da auch bleiben.«

Lehre: Es kann keiner in Frieden leben, wenn es dem schlimmen Mitbewohner nicht gefällt!


Der Igel und der Maulwurf – Fabelvariation nach Aesop – Gastfreundschaft Besuch

Autor*in: Aesop - Fabelvariation

Bewertung des Redakteurs:

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    Der Igel spürte, dass der Winter sich nahte, und bat daher den Maulwurf, ihm ein Plätzchen in seiner Höhle einzuräumen, damit er in der kalten Jahreszeit gegen die Kälte geschützt sei. Der Maulwurf hatte nichts dagegen, doch kaum hatte er dem Igel Einlass gewährt, machte es sich dieser sehr bequem, breitete sich aus, und sein Wirt stach sich alle Augenblicke, bald hier, bald da, an den Stacheln seines neuen Gastes.

    Die Aeroplane in Brescia - 2 von 2

    Die Aeroplane in Brescia - 2 von 2 - Franz Kafka
    Die Aeroplane in Brescia  

    Die Aeroplane in Brescia - 2 von 2 - Franz Kafka 


    Ein Arbeiter fasst den einen Flügel der Schraube, um sie anzudrehen, er reißt an ihr, es gibt auch einen Ruck, man hört etwas wie den Atemzug eines starken Mannes im Schlaf; aber die Schraube rührt sich nicht weiter. Noch einmal wird es versucht, zehnmal wird es versucht, manchmal bleibt die Schraube gleich stehen, manchmal gibt sie sich für ein paar Wendungen her. Es liegt am Motor.

    Neue Arbeiten fangen an, die Zuschauer ermüden mehr als die nahe Beteiligten. Der Motor wird von allen Seiten geölt; verborgene Schrauben werden gelockert und zugeschnürt; ein Mann läuft in den Hangar, holt ein Ersatzstück; da passt es wieder nicht; er eilt zurück, und hockend auf dem Boden des Hangars, bearbeitet etwas mit einem Hammer zwischen seinen Beinen. Blériot wechselt den Sitz mit einem Mechaniker, der Mechaniker mit Leblanc.

    Bald reißt dieser Mann an der Schraube, bald jener. Aber der Motor ist unbarmherzig, wie ein Schüler, dem man immer hilft, die ganze Klasse sagt ihm ein, nein, er kann es nicht, immer wieder bleibt er stecken, immer wieder bei der gleichen Stelle bleibt er stecken, versagt. Ein Weilchen lang sitzt Blériot ganz still in seinem Sitz; seine sechs Mitarbeiter stehen um ihn herum, ohne sich zu rühren; alle scheinen zu träumen.

    Die Zuschauer können aufatmen und sich umsehen. Die junge Frau Blériot mit mütterlichem Gesicht kommt vorüber, zwei Kinder hinter ihr. Wenn ihr Mann nicht fliegen kann, ist es ihr nicht recht, und wenn er fliegt, hat sie Angst; überdies ist ihr schönes Kleid ein bisschen schwer für diese Temperatur.

    Wieder wird die Schraube angedreht, vielleicht besser als früher, vielleicht auch nicht; der Motor kommt mit Lärm in Gang, als sei er ein anderer; vier Männer halten rückwärts den Apparat, und inmitten der Windstille ringsherum fährt der Luftzug von der schwingenden Schraube her in Stößen durch die Arbeitsmäntel dieser Männer. Man hört kein Wort, nur der Lärm der Schraube scheint zu kommandieren, acht Hände entlassen den Apparat, der lange über die Erdschollen hin läuft wie ein Ungeschickter auf Parketten.

    Vier solcher Versuche werden gemacht, und alle enden unabsichtlich. Jeder treibt das Publikum in die Höhe, auf die Strohsessel hinaus, auf denen man mit ausgestreckten Armen zugleich sich in Balance hält, zugleich auch Hoffnung, Angst und Freude zeigen kann.

    In den Pausen aber zieht die Gesellschaft des italienischen Adels die Tribüne entlang. Man begrüßt einander, verneigt sich, erkennt einander wieder, es gibt Umarmungen, man steigt die Treppen zu den Tribünen hinauf und hinab. Man zeigt einander die Principessa Laetitia Savoia Bonaparte, die Principessa Borghese, eine ältliche Dame, deren Gesicht die Farbe dunkelgelber Weintrauben hat, die Contessa Morosini. Marcello Borghese ist bei allen Damen und keiner, er scheint von der Ferne ein verständliches Gesicht zu haben, in der Nähe aber schließen sich seine Wangen über den Mundwinkeln ganz fremd.

    Gabriele d’Annunzio, klein und schwach, tanzt scheinbar schüchtern vor dem Conte Oldofredi. Von der Tribüne schaut über das Geländer das starke Gesicht von Giacomo Puccini mit einer Nase, die man eine Trinkernase nennen könnte.

    Aber diese Personen erblickt man nur, wenn man sie sucht, sonst sieht man überall nur die langen Damen der heutigen Mode. Sie ziehen das Gehen dem Sitzen vor, in ihren Kleidern sitzt es sich nicht gut. Alle Gesichter, asiatisch verschleiert, werden in einer leichten Dämmerung getragen. Das am Oberkörper lose Kleid lässt die ganze Gestalt von rückwärst etwas zaghaft erscheinen; ein wie gemischter, ruheloser Eindruck entsteht, wenn solche Damen zaghaft erscheinen. Das Mieder liegt tief, kaum noch zu fassen; die Taille scheint breiter als gewöhnlich, weil alles schmal ist; diese Frauen wollen tiefer umarmt sein.

    Es war nur der Apparat Leblancs, der bisher gezeigt wurde. Nun kommt aber der Apparat, mit dem Blériot den Kanal überflogen hat; keiner hat es gesagt, alle wissen es. Eine lange Pause, und Blériot ist in der Luft, man sieht seinen geraden Oberkörper über den Flügeln, seine Beine stecken tief als Teil in der Maschinerie.

    Die Sonne hat sich geneigt, und unter dem Baldachin der Tribüne durch beleuchtet sie die schwebenden Flügel. Hingegeben sehn alle zu ihm auf, in keinem Herzen ist für einen anderen Platz. Er fliegt eine kleine Runde und zeigt sich dann fast senkrecht über uns. Und alles sieht mit gerenktem Hals, wie der Monoplan schwankt, von Blériot gepackt wird und sogar steigt.

    Was geschieht denn? Hier oben ist zwanzig Meter über der Erde ein Mensch in einem Holzgestell verfangen und wehrt sich gegen eine freiwillig übernommene unsichtbare Gefahr. Wir aber stehen unten ganz zurückgedrängt und wesenlos und sehen diesem Menschen zu. Alles geht gut vorüber. Der Signalmast zeigt gleichzeitig an, dass der Wind günstiger geworden ist und Curtiss um den großen Preis von Brescia fliegen wird. Also doch?

    Kaum verständigt man sich darüber, schon rauscht der Motor des Curtiss, kaum sieht man hin, schon fliegt er von uns weg, fliegt über die Ebene, die sich vor ihm vergrößert, zu den Wäldern in der Ferne, die jetzt erst aufzusteigen scheinen. Lange geht sein Flug über jene Wälder, er verschwindet, wir sehen die Wälder an, nicht ihn. Hinter Häusern, Gott weiß wo, kommt er in gleicher Höhe wie früher hervor, jagt gegen uns zu, steigt er, dann sieht man die unteren Flächen des Biplans dunkel sich neigen, sinkt er, dann glänzen die oberen Flächen in der Sonne.

    Er kommt um den Signalmast herum und wendet gleichgültig gegen den Lärm der Begrüßung, geradeaus dorthin, von wo er gekommen ist, um nur schnell wieder klein und einsam zu werden. Er führt fünf solche Runden aus, fliegt fünfzig Kilometer in neunundvierzig Minuten und vierundzwanzig Sekunden und gewinnt damit den großen Preis von Brescia, dreißigtausend Lire.

    Es ist eine vollkommene Leistung, aber vollkommene Leistungen können nicht gewürdigt werden, vollkommener Leistungen hält sich am Ende jeder für fähig, zu vollkommenen Leistungen scheint kein Mut nötig.

    Die Aeroplane in Brescia - Franz Kafka - 2 von 2


    Autor*in: Franz Kafka

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      Ein Arbeiter fasst den einen Flügel der Schraube, um sie anzudrehen, er reißt an ihr, es gibt auch einen Ruck, man hört etwas wie den Atemzug eines starken Mannes im Schlaf; aber die Schraube rührt sich nicht weiter. Noch einmal wird es versucht, zehnmal wird es versucht, manchmal bleibt die Schraube gleich stehen, manchmal gibt sie sich für ein paar Wendungen her. Es liegt am Motor.

      Die Aeroplane in Brescia - 1 von 2

      Die Aeroplane in Brescia - 1 von 2 - Franz Kafka
      Die Aeroplane in Brescia 

      Die Aeroplane in Brescia - 1 von 2 - Franz Kafka 


      Wir kommen an den Hangars vorüber, die mit ihren zusammengezogenen Vorhängen dastehen wie geschlossene Bühnen wandernder Komödianten. Auf ihren Giebelfeldern stehen die Namen der Aviatiker, deren Apparate sie verbergen, darüber die Trikolore ihrer Heimat.

      In dem eingezäunten Platz vor seinem Hangar läuft Rougier, ein kleiner Mensch mit auffallender Nase, in Hemdsärmeln auf und ab. Er ist in äußerster, etwas unklarer Tätigkeit, er hebt und senkt die Arme mit den stark bewegten Händen, betastet sich im Gehen überall, schickt seine Arbeiter hinter den Vorhang des Hangars, ruft sie zurück, geht selbst, alle von sich drängend, hinein, während abseits seine Frau in engem weißem Kleid, einen kleinen schwarzen Hut stark ins Haar gepresst, die Beine im kurzen Rock zart auseinander gestellt, in die leere Hitze schaut, eine Geschäftsfrau mit allen Sorgen des Geschäftes in ihrem kleinen Kopf.

      Vor dem benachbarten Hangar sitzt Glenn Curtiss ganz allein. Durch die ein wenig gelüfteten Vorhänge ist sein Apparat zu sehen; er ist größer, als man erzählt. Als wir vorüberkommen, hält Curtiss den ‚New York Herald‘ in der Höhe vor sich und liest eine Zeile oben auf der Seite; nach einer halben Stunde kommen wir wieder vorbei, er hält schon in der Mitte dieser Seite; wieder nach einer halben Stunde ist er mit der Seite fertig und fängt eine neue an. Fliegen will er heute offenbar nicht.

      Wir wenden uns und sehen das weite Feld. Es ist so groß, dass alles, was sich auf ihm befindet, verlassen scheint: Die Zielstange nahe bei uns, der Signalmast weit in der Ferne, das Startkatapult irgendwo rechts, ein Komiteeautomobil, das mit im Wind gespanntem gelbem Fähnchen einen Bogen über das Feld beschreibt, in seinem eigenen Staub stehenbleibt und wieder fährt.

      Eine künstliche Einöde ist hier eingerichtet worden in einem fast tropischen Land, und der Hochadel Italiens, glänzende Damen aus Paris und alle anderen Tausende sind hier beisammen, um viele Stunden mit schmalen Augen in diese sonnige Einöde zu schauen.

      Nichts ist auf diesem Platz, was sonst auf Sportfeldern Abwechslung bringt. Es fehlen die hübschen Hürden der Pferderennen, die weißen Zeichnungen der Tennisplätze, der frische Rasen der Fußballspiele, das steinerne Auf und Ab der Automobil- und Radrennbahnen. Nur zwei- oder dreimal während des Nachmittags trabt ein Zug farbiger Reiter quer über die Ebene. Die Füße der Pferde sind unsichtbar im Staub, das gleichmäßige Licht der Sonne ändert sich bis gegen die fünfte Nachmittagsstunde nicht…

      An einer Seite des Holzgeländers stehen viele Leute beieinander. „Wie klein!“ ruft eine französische Gruppe gleichsam seufzend. Was ist den los? Wir drängen uns durch. Aber da steht ja auf dem Feld, ganz nahe, mit wirklicher gelblicher Farbe ein kleiner Aeroplan, den man zum Fliegen vorbereitet. Nun sehen wir auch den Hangar von Louis Blériot, neben ihm den seines Schülers Leblanc, sie sind auf dem Feld aufgebaut. An einen der zwei Flügel des Apparats gelehnt steht Blériot und schaut, den Kopf fest auf dem Halse, seinen Mechanikern auf die Finger, wie sie am Motor arbeiten.

      Auf dieser Kleinigkeit will er in die Luft? Da haben es zum Beispiel die Leute auf dem Wasser leichter. Die können zuerst in Pfützen üben, dann in Teichen, dann in Flüssen, und erst viel später wagen sie sich aufs Meer hinaus, für diesen hier gibt es nur das Meer.

      Schon sitzt Blériot auf seinem Sitz, hält die Hand auf irgendeinem Hebel, lässt aber noch die Mechaniker gewähren, als seien sie überfleißige Kinder. Er schaut langsam zu uns her, schaut von uns weg und wieder anderswohin, behält aber den Blick immer bei sich. Er wird jetzt fliegen, nichts ist natürlicher. Dieses Gefühl des Natürlichen mit dem gleichzeitigen, allgemeinen Gefühl des Außerordentlichen, das sich von ihm nicht abhalten lässt, gibt ihm diese Haltung.

      Die Aeroplane in Brescia - Franz Kafka - 1 von 2 - Novelle



      Autor*in: Franz Kafka

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        Wir kommen an den Hangars vorüber, die mit ihren zusammengezogenen Vorhängen dastehen wie geschlossene Bühnen wandernder Komödianten. Auf ihren Giebelfeldern stehen die Namen der Aviatiker, deren Apparate sie verbergen, darüber die Trikolore ihrer Heimat.

        Der kategorische Imperativ

        Der kategorische Imperativ – Immanuel Kant

        Der kategorische Imperativ 

        Der kategorische Imperativ – Immanuel Kant 


        Grundformel:

        Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.


        Naturgesetzformel:

        Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden solle.


        Menschheitsformel:

        Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals nur als Mittel brauchen würdest.


        Autonomieformel:

        Handle so, dass der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.


        Zweckformel:

        Handle so, als ob du durch deine Maxime jederzeit ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reich der Zwecke wärst.


        Der kategorische Imperativ – Immanuel Kant - Handle nur nach der Maxime - Weisheit

        Autor*in: Immanuel Kant

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          Grundformel: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. - Naturgesetzformel: Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden solle...

          Hans im Glück - Brüder Grimm

          Hans im Glück - Brüder Grimm - Märchen
          Hans im Glück 

          Hans im Glück - Brüder Grimm - Märchen 


          Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm »Meine Zeit ist um, ich möchte wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir bitte meinen Lohn.« Der Herr antwortete »du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,« und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war.

          Hans zog ein Tuch aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Hause. Und wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem munteren Pferd vorbeitrabte.

          »Ach,« sprach Hans ganz laut, »was ist das Reiten ein schönes Ding! Da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuhe, und kommt fort, er weiß nicht wie.« Der Reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief »Wieso, warum läufst du auch zu Fuß?« »Ich muss ja wohl,« antwortete Hans, »da habe ich einen Klumpen heim zu tragen: es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerade halten, auch drückt es mir auf die Schulter.«

          »Weißt du was,« sagte der Reiter, »wir wollen tauschen. Ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.« »Von Herzen gern,« sprach Hans, »aber ich sage dir, du musst dich damit abschleppen.« Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans aufs Pferd hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach »wenn’s nun recht geschwind soll gehen, so musst du mit der Zunge schnalzen und ‘hopp hopp’ rufen.«

          Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferd saß und so frank und frei dahin reiten konnte. Nach einer Weile fiel ihm ein, es könnte noch schneller gehen, und deshalb fing er an mit der Zunge zu schnalzen und ‘hopp hopp’ zu rufen. Das Pferd setzte sich in schnellen Trab, und ehe sich Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte.

          Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich her trieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und stellte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer »es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so eine Mähre gerät, wie diese, die stößt und einen abwirft, dass man sich den Hals brechen kann. Ich setze mich nie und nimmermehr wieder auf ein Pferd.

          Da lobe ich mir Eure Kuh, da kann man mit Gemächlichkeit hinterhergehen, und hat obendrein noch seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiss. Was gäbe ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!« »Nun,« sprach der Bauer, »ich mache dir einen Vorschlag, und wenn du willst, tauschen wir die Kuh für das Pferd.« Hans willigte mit tausend Freuden ein, der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.

          Jetzt trieb Hans seine Kuh ruhig vor sich her und dachte über den glücklichen Handel nach. »Noch habe ich ein Stück Brot, und jetzt kann ich, sooft es mir beliebt, Butter und Käse dazu essen. Habe ich Durst, so melke ich meine Kuh und trinke die Milch. Mein Herz, was verlangst du mehr?«

          Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er dort halt, aß in seiner großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, auf, und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorf seiner Mutter zu.

          Die Hitze wurde drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich mitten in einer Heide, die zu durchqueren wohl noch eine Stunde dauerte. Da wurde es ihm ganz heiß, so dass ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. »Dem Ding ist zu helfen« dachte Hans, »jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben.«

          Er band also die Kuh an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, hielt er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich dabei auch so ungeschickt anstellte, gab ihm das ungeduldige Tier noch mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelte und sich eine Zeit lang gar nicht mehr besinnen konnte, wo er war.

          Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf seinem Schubkarren ein junges Schwein liegen hatte. »Was sind das für Streiche!« rief dieser und half dem guten Hans wieder auf die Beine. Hans erzählte ihm, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach »da trink erst einmal und erhole dich. Die Kuh will wohl keine Milch geben, denn sie ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.«

          »Ei, ei,« sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, »wer hätte das gedacht! Es ist freilich gut, wenn man so ein großes Tier schlachten kann. Da gibt es bestimmt eine Menge Fleisch! Aber ich mache mir aus Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! Das schmeckt wohl anders, dabei könnte man auch noch Würste machen.«

          »Hört, Hans,« sprach da der Metzger, »Dir zuliebe will ich gerne tauschen und dir das Schwein für die Kuh überlassen.« »Gott belohne deine Freundschaft,« sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das kleine Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.

          So zog Hans nun weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge. Ja, begegnete ihm eine Verdrießlichkeit, so wurde sie ihm doch gleich wieder gut gemacht. Hernach gesellte sich ein Bursche zu ihm, der trug eine schöne weiße Gans unter seinem Arm. Sie unterhielten sich eine Weile, und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursche erzählte ihm, dass er die Gans zu einem Festschmaus brächte.

          »Hebt einmal,« fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, »wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in diesen Braten beißt, muss sich das Fett von beiden Seiten abwischen.« »Ja,« sprach Hans, und wog die Gans mit der einen Hand, »die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.« Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte den Kopf und sagte:

          »Höre mir zur, mit deinem Schwein ist etwas nicht ganz in Ordnung. In letzten Dorf, durch das ich gekommen bin, ist vor kurzem dem Schulzen ein Schwein aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, du hast das da in deiner Hand. Du musst wissen, sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie dich mit dem Schwein erwischen würden. Das Beste wäre jetzt vielleicht, das Schwein so schnell wie möglich zu verstecken.«

          Dem guten Hans wurde jetzt arg bang, »Ach Gott,« sprach er, »hilf mir aus meiner Not, du weißt hier herum sicher gut Bescheid, nimm das Schwein und gib mir deine Gans.« »Ich muss schon etwas aufs Spiel setzen,« antwortete der Bursche, »aber ich will doch nicht schuld sein, dass du ins Unglück gerätst.« Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einem Seitenweg fort: der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arm seiner Heimat zu.

          »Wenn ich es mir recht überlege,« sprach er zu sich selbst, »habe ich noch Vorteile beim Tausch erzielt: erstens den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt nämlich Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr, und endlich die schönen weißen Federn, die lass ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf werde ich wohl sehr gut schlafen. Was wird meine Mutter eine große Freude haben!«

          Als er sodann durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren. Sein Rad schnurrte, und er sang dazu »Ich schleife die Scheren und drehe geschwind, und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.« Da blieb Hans stehen und sah ihm zu. Dann redete er ihn an und sprach »Euch geht’s wohl gut, weil Ihr so lustig beim Schleifen seid.«

          »Ja,« antwortete der Scherenschleifer, »das Handwerk hat einen goldenen Boden und ein richtiger Schleifer ist ein Mann, der, sooft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt Ihr denn die schöne Gans gekauft?« »Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.« »Und das Schwein?« »Das hab ich für eine Kuh gekriegt.« »Und die Kuh?« »Die hab ich für ein Pferd bekommen.« »Und das Pferd?« »Dafür hab ich einen Klumpen Gold, so groß wie mein Kopf, gegeben.« »Und das Gold?« »Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.«

          »Du hast Dir wohl jederzeit zu helfen gewusst,« sprach der Schleifer, »nun kannst du es auch noch dahin bringen, dass dir das Geld in der Tasche nie ausgehen wird. Und wenn du aufstehst, wirst du jedes Mal sehen, wie du dein Glück gemacht hast.« »Wie soll ich das nun anfangen?« sprach Hans. »Du musst nur ein Schleifer werden wie ich; dazu gehört eigentlich nichts als ein Wetzstein, das andere findet sich dann schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollst du mir aber auch nichts weiter geben als deine Gans. Willst du das?«

          »Wie kannst du nur fragen,« antwortete Hans, »ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt. Denn habe ich Geld, sooft ich in die Tasche greife, was brauche ich da noch länger zu sorgen?« reichte ihm die Gans hin, und nahm den kaputten Wetzstein in Empfang. »Nun,« sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen schweren Feldstein, der neben ihm lag, auf, »da hast du noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem es sich gut schlagen lässt und du alte Nägel wieder gerade klopfen kannst. Nimm ihn und hebe ihn gut auf.«

          Da lud Hans den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor lauter Freude, »ich muss in einer Glückshaut geboren sein,« rief er aus »alles, was ich mir wünsche, trifft ein und geht in Erfüllung, wie bei einem Sonntagskind.« Indessen, weil er ja seit Tagesanbruch schon auf den Beinen war, begann er müde zu werden. Auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat bereits auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. So konnte er nur mit Mühe weitergehen und musste jeden Augenblick halt machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich.

          Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er die Steine jetzt nicht mehr tragen müsste. Wie eine Schnecke kam er schließlich zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ausruhen und sich mit einem frischen Trunk laben. Damit er aber die Steine beim Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich gerade zum Trinken bücken, da geschah es, er stieß die Steine ein klein wenig an, und beide plumpsten in den Brunnen hinab.

          Als Hans sie mit seinen Augen in der Tiefe versinken sah, sprang er vor lauter Freude auf, kniete nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch noch diese Gnade erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte. »So glücklich wie ich,« rief er aus, »gibt es keinen anderen Menschen unter der Sonne.«

          Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er sodann auf und ging fort, bis er nachhause zu seiner Mutter kam.

          Hans im GlückBrüder GrimmMärchen

          Autor*in: Brüder Grimm

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            Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm »Meine Zeit ist um, ich möchte wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir bitte meinen Lohn.« Der Herr antwortete »du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,« und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war.

            Die Fledermaus der Dornbusch und die Möwe

            Die Fledermaus der Dornbusch und die Möwe - Fabel Aesop
            Die Fledermaus der Dornbusch und die Möwe 

            Die Fledermaus der Dornbusch und die Möwe - Fabel Aesop


            Eine Fledermaus, ein Dornbusch und eine Möwe beschlossen sich zu einer Gemeinschaft zusammen zu tun und entschieden, ein großes Geschäft zu beginnen, um reich zu werden.

            Die Fledermaus lieh sich Geld und stellte es für diesen Zweck zur Verfügung.

            Der Dornbusch brachte die Kleidung mit.

            Die Möwe schließlich kaufte Erz, lud es auf ein Schiff und fuhr los.

            Als sodann ein heftiges Unwetter aufkam und das Schiff kenterte, verloren sie ihr gesamtes Hab und Gut, konnten sich aber noch an Land retten. Seit jenem Vorfall aber sucht nun die Möwe nun das Erz auf dem Grund des Meeres, weil sie glaubt, es irgendwann dort einmal wieder zu finden.

            Die Fledermaus zeigt sich seit jenen Tagen aus Angst vor den Gläubigern nie mehr am Tag, sondern geht nur noch nachts auf Nahrungssuche.

            Der Dornbusch schließlich ist seit jenen Tagen hinter allen Kleidern her und krallt sich bei den Vorübergehenden an Mäntel, Jacken und Hosen, weil er glaubt, die Kleidung, die ihm einst gehört hatte, wieder zu finden.

            Lehre: Wahrer Reichtum ist nicht im Materiellen, sondern im Ideellen und in gemachten Erfahrungen zu finden.


            Die Fledermaus, der Dornbusch und die Möwe – Aesop Fabel - Schicksal

            Autor*in: Aesop

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              Eine Fledermaus, ein Dornbusch und eine Möwe beschlossen sich zu einer Gemeinschaft zusammen zu tun und entschieden, ein großes Geschäft zu beginnen, um reich zu werden. Die Fledermaus lieh sich Geld und stellte es für diesen Zweck zur Verfügung.

              Die Selbsterfahrungsgruppe - Therapie

              Die Selbsterfahrungsgruppe - Wolfgang Körner - Therapie
              Die Selbsterfahrungsgruppe 

              Die Selbsterfahrungsgruppe - Wolfgang Körner - Therapie


              Um das wichtigste gleich am Anfang zu sagen, das Selbsterfahrungswochenende kostete viel Geld, und wir hätten niemals daran teilgenommen, wenn uns Hubert nicht erklärt hätte, wie wichtig so was für den Menschen sei.

              »Man lernt viele Leute kennen«, sagte er. »Man kann über seine Probleme nachdenken und reden, und man fühlt sich danach wie neugeboren.«

              Wenn Hubert so etwas sagt, muss man es ihm glauben, denn er hat von uns allen in Psycho-Angelegenheiten die meiste Erfahrung. Er hat in Kalifornien den Urschrei korrekt auszustoßen gelernt. Er war nicht nur ein halbes Jahr in Poona und danach ein Jahr in Oregon, er hat sogar ein Jahr Gestalttherapie absolviert und kürzlich in der Reinkarnationstherapie herausgefunden, dass er jetzt zwar Hubert ist, aber zuvor schon als Ramses II für die Nilkultivierung gesorgt hat.

              Im späten Mittelalter übrigens, aber diese Einsicht verdankt er nur einer ungewöhnlich tiefen Tiefenhypnose, ist er bereits einmal wegen Hexerei auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden. Auch meine Freundin Renate vertraut ihm.

              »Wenn man ihm in psychischen Angelegenheiten nicht trauen kann«, sagte sie, »kann man in solchen Angelegenheiten keinem trauen.« Natürlich folgten wir seiner Anregung, endlich mal etwas für unser seelisches Wohl zu tun.

              Das Selbsterfahrungswochenende fand in einem Bildungsforum statt. Der Gruppenleiter begrüßte uns freundlich. Er rauchte nicht nur ungemein wohlriechenden englischen Tabak, sondern er sagte uns auch, dass er zwölf Semester Psychologie, acht Semester Soziologie und fünf Semester Politologie studiert habe. »Zuerst werden wir schweigend durch den Raum schreiten«, erklärte er uns dann, »um uns mit dem Ort unseres Seminars vertraut zu machen!«

              Wir schritten schweigend. Der Raum sah so aus wie wahrscheinlich viele Räume in Volkshochschulen. Stühle und Tische standen in strenger Ordnung aufgereiht, und an einer Wandtafel erinnerten die Reste eines Computer-Programms daran, dass dieses Zimmer am Vorabend anderen Zwecken gedient hatte.

              Als nächstes forderte uns der Seminarleiter auf, die Nähe jenes Seminarteilnehmers zu suchen, der uns von allen am sympathischsten sei, um ihm zu erklären, wie wir uns fühlten und was wir von ihm hielten. Ich betrachtete unsicher die Seminarteilnehmer und ging dann auf eine sehr schöne Blondine zu, um ihr zu erklären, dass ich mich sehr wohl fühle und sie für eine ungemein sympathische Frau halte.

              »Ich fühle mich total frustriert«, sagte die Blondine. »Und dich halte ich für einen schlimmen Chauvi!«

              War das die erste Selbsterfahrung? Ich wurde aufgeregt, aber gerade, als ich mich rechtfertigen und auf meine lange feministische Vergangenheit hinweisen wollte, sonderte der Gruppenleiter eine Rauchwolke ab und deutete auf die Stühle, die er inzwischen zu einem Kreis zusammengerückt hatte. Wir setzten uns, und jetzt sollten wir den anderen erklären, weshalb wir uns zu diesem Selbsterfahrungswochenende angemeldet hätten.

              »Ich habe Beziehungsschwierigkeiten«, sagte ein Mädchen, das bislang nur stumm an seinem Palästinenser-Halstuch herumgenestelt hatte, und jetzt kam endlich Leben in die Gruppe. Alle hatten Beziehungsschwierigkeiten, aber als eine alte Frau von ihrer Einsamkeit im Altersheim erzählen wollte, schnitt ihr der Gruppenleiter das Wort ab.

              »Das Hauptproblem sind immer die Beziehungsschwierigkeiten«, erklärte er kurz und bündig. »Und deshalb werden wir jetzt Familien bilden. Jeder wird sich einen Vater und eine Mutter suchen!« Wieder begann das große Stühlerücken.

              Ich wollte die schöne Blondine zu meiner Mutter machen, aber sie wählte sich gerade Hubert als ihren Vater, also entschloss ich mich, Renate zur Abwechslung mal zu meiner Mutter zu machen und Hubert zu meinem Vater, denn auf diese Weise wurde die schöne Blondine wenigstens meine Tante. Wir umarmten uns alle vier, und dann fragte der Gruppenleiter, wie wir uns fühlten.

              »Prima!« sagte Renate und strahlte dabei glücklich wie lange nicht mehr. Der Gruppenleiter zog die Augenbrauen skeptisch zusammen. »Na?« fragte er verärgert. »Wirklich?? – Gib es doch zu, du verdrängst nur deine Probleme!«

              Damit war ein wichtiges Stichwort gefallen. Hubert erzählte, dass er immer wieder jene Nacht verdrängen müsse, in der man ihn auf den Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt hatte. Die Blondine erklärte, dass sie ständig verdrängen müsse, wie frustriert sie sich fühle, und die alte Frau wollte wieder von ihrem Altersheim erzählen, aber keiner hörte ihr zu, weil alle viel lieber vom Gruppenleiter erfahren wollten, was er verdrängte.

              Er überlegte lange, und es sah so aus, als würde er es tatsächlich schaffen, seine Panzerungen zu durchbrechen, aber als er endlich den Mund öffnete, sonderte er nur erneut eine Rauchwolke ab und forderte uns auf, jetzt offen zu erklären, was wir von den anderen dächten.

              Ein rothaariger junger Mann mit einer Bhagwan-Mala um den Hals deutete mit seinem spitzen Zeigefinger auf mich: »Der Typ guckt mich dauernd so misstrauisch an!« sagte er, aber Hubert lenkte sofort ab. »Mir gefällt deine Frisur nicht!« sagte er unvermittelt zu der schönen Blondine. »Deine Haare sehen aus, als ob du sie vier Wochen lang nicht gewaschen hättest!«

              »Wirklich?« fragte die Blondine erschrocken, und als sie sich in einem Spiegel betrachtet hatte, fing sie an zu weinen.

              »Na endlich!« strahlte der Gruppenleiter. »Wir müssen uns völlig öffnen, alles heraus lassen, was wir vor uns und anderen ständig zu verbergen versuchen!«

              »Ich habe Beziehungsschwierigkeiten!« wiederholte die Blondine, diesmal weinend, aber als Hubert sie an sich ziehen wollte, stieß sie ihn empört zurück.

              »Dann eben nicht!« sagte Hubert. »Du hast wohl vergessen, dass ich dein Vater bin!«

              Was soll ich viele Worte machen, das Selbsterfahrungswochenende nahm planmäßig seinen Lauf. Nach zwei Tagen fühlte auch ich mich endlich völlig frustriert, und ich hatte erhebliche Beziehungsschwierigkeiten, weil Renate meinte, ich würde mich viel zu sehr für diese Blondine interessieren. Deshalb machen wir unsere Selbsterfahrungswochenenden auch wieder wie zuvor zu Hause.

              »Es wird Zeit, dass du dir mal wieder die Haare wäschst«, sagte Renate beispielsweise, und ich durchbreche ihre psychische Panzerung, wenn sie manchmal zu verdrängen beginnt, dass sie viel besser kochen kann als ich. Die alte Frau aus dem Altersheim übrigens – die haben wir schon ein paarmal zum Essen bei uns eingeladen.

              Die Selbsterfahrungsgruppe - Wolfgang Körner - Therapie - Story - Satire

              Autor*in: Wolfgang Körner

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                Um das wichtigste gleich am Anfang zu sagen, das Selbsterfahrungswochenende kostete viel Geld, und wir hätten niemals daran teilgenommen, wenn uns Hubert nicht erklärt hätte, wie wichtig so was für den Menschen sei. »Man lernt viele Leute kennen«, sagte er. »Man kann über seine Probleme nachdenken und reden, und man fühlt sich danach wie neugeboren.«

                Das Unterbewusstsein - Alltagspsychologie

                Das Unterbewusstsein – Vom Sinn des Leben – R.M.F – Alltagspsychologie
                Das Unterbewusstsein 

                Das Unterbewusstsein – Vom Sinn des Leben – R.M.F – Alltagspsychologie


                Weit entfernt davon, eine absolute Regierung zu sein, ein Selbstzweck, dem alles andere zu dienen hätte, ist unser Bewusstsein nur als eine Zentrale zu verstehen, in der die für die mannigfachen Erfordernisse des Lebens notwendigen Vermittlungen zwischen Außenwelt und Ich vorgenommen werden.

                Es beleuchtet stets nur einen Teil der Außenwelt, nur den, worauf unser Lebenswillen sich richtet; es ist aber auch niemals etwa Bewusstsein des ganzen Ich, sondern stets nur der Partien derselben, die gerade lebenswichtig sind. Aus diesem Grund geht es nicht an, das Bewusstsein mit der Seele gleichzusetzen: es ist vielmehr stets nur die Oberfläche der Seele, nur die Bühne, hinter der in Kulissen, Hintergründen und Versenkungen noch vielerlei vor sich geht, was nur indirekt ins Bewusstsein hineinwirkt.

                Die Seele ist weit reicher, als das Blickfeld des Bewusstseins vermuten lässt. Sie ist unterkellert von dunklen, keinem Lot ermessbaren Untergründen, die wir zusammenfassend das »Unterbewusstsein« nennen. Gewiss können wir nur indirekte Kenntnis davon haben; aber erst indem wir dies Unterbewusstsein hinzufügen, wird uns das Leben der Seele verständlich.

                Nennen wir das Erlebnis, das mittel im Kegel des Bewusstseinsscheinwerfers steht, das Haupt- oder Vollbewusstsein, so müssen wir zunächst hinzufügen, dass es umgeben ist von höchst komplexem Neben- oder Randbewusstsein, das jenes Hauptbewusstsein wie der helle Mondhof die Mondscheibe umdämmert und in immer blasserem Schimmer schließlich in volles Dunkel übergeht. Das Unterbewusstsein wird im Halb- und Viertels- und Achtelsbewusstsein zuletzt zu vollkommenem Unterbewusstsein, das jedoch nicht mit Nichtsein identisch ist.

                Während wir uns lebhaft mit einem anderen Menschen unterhalten, ganz der Sache zugewandt, ist doch in unserer Seele außer dieser »Sache« stets ein vages Randbewusstsein von der Persönlichkeit, mit der wir reden, von dem Raum, wo wir uns befinden, und von tausenderlei anderem. Der Gang der Unterhaltung wird keineswegs allein von den in den Worten formulierten Bewusstseinsinhalten reguliert, sondern im Grund steht immer unsere ganze Persönlichkeit mit all ihren Trieben und allen früheren Erlebnissen, allen ihren Erinnerungen und Erkenntnissen, nur anklingenden wie völlig unbewusst bleibenden, im Hintergrund, und sie alle beteiligen sich gleichsam hinter den Kulissen, selbst dort, wo sie nicht nach vorn kommen, wo sie sich zurückhalten.

                Es ist wie in einem Parlament, wo stets alle Mitglieder am Zustandekommen eines Entschlusses beteiligt sind, auch diejenigen, die dagegen stimmen, ja diejenigen, die sich der Stimme enthalten oder die Sitzung schwänzen.

                Natürlich ist es schwer, im einzelnen nachzuweisen, was alles aus unserem Unterbewusstsein hineinwirkt ins Bewusstsein; aber wir können ruhig annehmen, dass auch bei scheinbar einfachsten Denk- und Willensprozessen diese heimlichen Drahtzieher beteiligt sind. Wir würden oft staunen, welche entlegenen und halbvergessenen Motive mitwirken beim Zustandekommen unserer Pläne und Gedanken.

                Unsere Seele ist weit vielspältiger, untergründiger, doppelbodiger, als wir ahnen. Man bemühe sich nur ernsthaft um Klarheit darüber, warum man den einen Menschen leiden und den anderen nicht leiden kann!

                Man muss freilich ehrlich sein gegen sich selbst, muss sich klar darüber werden, dass unser Bewusstsein sich selbst zu täuschen liebt: aber sieht man durch die schillernde, schmeichlerische Oberfläche hindurch, die wir uns selbst und anderen hinhalten, so bemerken wir, dass in scheinbar ganz einfachen Ab- oder Zuneigungen ein höchst verwickeltes Knäuel von Motiven steckt, worin sich Bewunderung, Neid, Rivalität, Eitelkeit, geschlechtliche Anziehung, ästhetische, moralische, intellektuelle Bewertung und zahlreiches sonst zu sehr merkwürdigem Gemisch zusammenfinden.

                Es ist sehr schwer, über das Wesen dieses Unterbewusstseins etwas Exaktes auszumachen. Man streitet darüber, ob die nichtbewussten Inhalte der Seele noch »psychisch« oder nur »physisch« zu nennen sind. Eine Definitionsfrage! Sie sind nicht psychisch, wenn man Seele und Bewusstsein gleichsetzt, sie sind nicht rein »physisch«, wenn man darunter etwas rein Materielles denkt; denn sie können doch bewusst werden. Wir würden sagen, es sind Lebensvorgänge, die zwar bewusst werden können, die aber im Augenblick nicht bewusst sind, wie uns ja das Leben eine Voraussetzung für alles Bewusstsein erschien.

                Weit wichtiger als dieser Streit ist die Erkenntnis der Bedeutung dieses Unbewussten, ohne dessen Beteiligung das Bewusstsein ein wirres Spiel wäre; denn das Bewusstsein erhält Sinn erst dadurch, dass wir dahinter unbewusste Vorgänge mitdenken. Unterbewusst sind vor allem solche Triebe und Instinkte, die nicht als Affekt ins Bewusstsein treten, die jedoch als Hemmungen oder Unterstützungen motivierend wirken; denn stets ist die ganze Seele im Spiel, auch wenn scheinbar nur ein einzelner Affekt im Bewusstsein ist.

                Unbewusst sind aber auch die Vorstellungen, Begriffe, Pläne, die uns im Augenblick nicht beschäftigen, die nur im Gedächtnis »deponiert« sind, aber dennoch von dort aus stets mitspielen. Denn wenn wir ein Buch lesen, so gehört zu dessen Verständnis nicht bloß die Erfassung des jeweils gebotenen Inhalts, sondern dieser Inhalt wird von uns erst verstanden, wenn wir ihn aus dem gesamten Schatz unseres Wissens speisen, wozu auch das Nichtwachwerden zahlreicher Bedeutungen gehört, die die Worte außer der vom Autor gewünschten noch haben können.

                Es ist stets unser ganzes Ich, das mitwirkt in allen unseren Handlungen und Gedanken, und jede Einzelhandlung und jeder Einzelgedanke ist nur im Zusammenhang der ganzen Persönlichkeit, deren Hauptwesen stets im Un- und Unterwusstsein ruht, zu begreifen.

                Dabei bietet das Unterbewusstsein der Geheimnisse genug, auf die wir später zu sprechen kommen. Besonders die von der Psychoanalyse studierten »Verdrängungen« sind überaus interessant, Komplexe des Gefühls- und Vorstellungsleben, die, vom Hauptbewusstsein gleichsam eingekapselt, wie Verbrecher in unterirdische Keller gesperrt werden, von wo sie jedoch zuweilen heraufdrängen an die Oberwelt und dort gefährliche Störungen hervorrufen. Das jedoch sind bereits Sonderfälle, die nicht mehr zur allgemeinen, die bereits zur differentiellen Psychologie gehören.

                Das Unterbewusstsein – Vom Sinn des Lebens – R.M.F – Alltagspsychologie

                Autor*in: R.M.F

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                  Weit entfernt davon, eine absolute Regierung zu sein, ein Selbstzweck, dem alles andere zu dienen hätte, ist unser Bewusstsein nur als eine Zentrale zu verstehen, in der die für die mannigfachen Erfordernisse des Lebens notwendigen Vermittlungen zwischen Außenwelt und Ich vorgenommen werden.

                  Balthasar Gracian - Handorakel - Glück

                  Balthasar Gracian - Handorakel - Glück
                  Balthasar Gracian - Handorakel 

                  Balthasar Gracian
                  - Handorakel - Glück


                  Er gibt Regeln für das Glück, denn für kluge Menschen ist nicht alles Zufall. Bemühungen können das Glück enorm steigern.

                  Manche Menschen begnügen sich damit, sich lässig an das Tor der Glücksgöttin zu stellen und erwarten, dass sie ihnen auch öffne, was nicht immer der Fall sein wird. Andere, schon etwas besser, streben zielgerichtet vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Wertes und ihrer Tapferkeit, die Glücksgöttin erreichen und ihre Gunst zu gewinnen suchen.

                  Wer jedoch richtig nachdenkt und philosophiert, der erkennt, dass kein anderer Weg besser ist, als den der Tugend und der Umsicht zu beschreiten. Nur auf diesem Weg wird jedem in seinem Leben gerade so viel Glück und so viel Unglück zukommen, wie es seiner Klugheit oder seiner Unwissenheit entspricht.

                  Balthasar Gracian - Die Kunst, Glück zu haben - Handorakel

                  Autor*in: Balthasar Gracian

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                    Er gibt Regeln für das Glück, denn für kluge Menschen ist nicht alles Zufall. Bemühungen können das Glück enorm steigern. Manche Menschen begnügen sich damit, sich lässig an das Tor der Glücksgöttin zu stellen und erwarten, dass sie ihnen auch öffne, was nicht immer der Fall sein wird.

                    Schöpfungsmythos - Legende - al-Masudi

                    Schöpfungsmythos - Legende - al-Masʿūdī
                    Schöpfungsmythos  

                    Schöpfungsmythos - Legende - al-Masʿūdī


                    Der aus Bagdad stammende arabische Schriftsteller al-Masʿūdī (895-957) berichtet in seinem ‘Buch der Goldwäscher’ von einer Legende, die den Unterschied der menschlichen Rassen zu erklären versucht.

                    Als Gott den Adam erschaffen wollte, rief er die Engel zu sich und sagte: »Ich werde auf Erden einen Nachfolger für mich einsetzen!« — Als die Engel daraufhin fragten, wer dies denn sein solle, antwortete er: »Viele Nachkommen wird er haben, und diese werden großes Unheil anstiften; wie werden sich gegenseitig verfolgen und einander töten!«

                    Da sprachen die Engel: »Warum willst du dann diesen Menschen schaffen? Sind wir nicht hier, dich zu loben und zu preisen? Warum willst du auf Erden jemanden haben, der nur Böses tut?« — Darauf antwortete Gott: »Ich weiß, was ich weiß. Ihr wisst es nicht!«

                    Dann sandte Gott den Engel Gabriel zur Erde, damit er dort Lehm hole. Die Erde aber weigerte sich. »Gott möge mich davor bewahren,« rief sie, »dass du mir Schaden zufügst!«

                    So kehrte Gabriel ohne Lehm in den Himmel zurück. Daraufhin sandte Gott den Engel Michael auf die Erde. Auch er kam mit leeren Händen wieder. Schließlich bat Gott den Todesengel, er möge zur Erde gehen und von dort Lehm holen. Der Todesengel probierte es zunächst mit guten Worten, aber die Erde weigerte sich abermals, Lehm herauszugeben.

                    Da sagte der himmlische Bote: »Gott möge mich davor bewahren, dass ich zurückkehre, ohne seinen Auftrag ausgeführt zu haben!« — Und er entriss der Erde etwas schwarzen, etwas roten und etwas weißen Lehm und kehrte damit in den Himmel zurück.

                    Das also ist der Grund, warum sich die Nachkommen Adams in der Hautfarbe unterscheiden: Sie sind aus unterschiedlichem Lehm entstanden! — Wer wagt es da noch zu behaupten, der eine Lehm sei schöner als der andere?! Wurden nicht alle drei ‘Lehmstücke’ von der gleichen Erde genommen?

                    Schöpfungsmythos – Legende – Schriftsteller al-Masʿūdī - Buch der Goldwäscher - Bagdad Irak

                    Autor*in: al-Masudi

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                      Der aus Bagdad stammende arabische Schriftsteller al-Masʿūdī (895-957) berichtet in seinem ‘Buch der Goldwäscher’ von einer Legende, die den Unterschied der menschlichen Rassen zu erklären versucht. Als Gott den Adam erschaffen wollte, rief er die Engel zu sich und sagte:...

                      Die Kaulquappe und der Weißfisch

                      Die Kaulquappe und der Weißfisch - Wolfdietrich Schnurre - Liebe im Wandel der Zeit
                      Die Kaulquappe 

                      Die Kaulquappe und der Weißfisch - Wolfdietrich Schnurre 


                      Liebe im Wandel der Zeit


                      Eine Kaulquappe hatte einen Weißfisch geehelicht. Als ihr Beine wuchsen und sie ein Frosch zu werden begann, sagte sie eines Morgens zu ihrem Gemahl: »Ich werde jetzt bald einer Berufung aufs Festland nachkommen müssen; es wird angebracht sein, dass du dich beizeiten daran gewöhnst, auf dem Land zu leben.«

                      »Aber um Himmels willen!« rief der Weißfisch verstört, »bedenke doch, meine Flossen! Die Kiemen!«

                      Die Kaulquappe sah seufzend zur Decke empor. »Liebst du mich, oder liebst du mich nicht?«

                      »Ei, aber ja«, hauchte der Weißfisch ergeben.

                      »Na also«, sagte die Kaulquappe!

                      Lehre: Omnia vincit amor! – Liebe besiegt alles! (Vergil) 😉


                      Die Kaulquappe und der Weißfisch – Wolfdietrich Schnurre - Fabel - Liebe

                      Autor*in: Wolfdietrich Schnurre

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                        Eine Kaulquappe hatte einen Weißfisch geehelicht. Als ihr Beine wuchsen und sie ein Frosch zu werden begann, sagte sie eines Morgens zu ihrem Gemahl: »Ich werde jetzt bald einer Berufung aufs Festland nachkommen müssen; es wird angebracht sein, dass du dich beizeiten daran gewöhnst, auf dem Land zu leben.«

                        Der bunte Vogel - Otto Erich Hartleben

                        Der bunte Vogel – Otto Erich Hartleben
                        Der bunte Vogel 

                        Der bunte Vogel – Otto Erich Hartleben 

                        Das letzte Haus auf der Landspitze, das schon ganz in der Nähe des Leuchtturms lag, bewohnte ein alter graubärtiger Seemann, der von den anderen Seeleuten der Gegend nicht anders als der Weise benannt wurde.
                        Er hatte sein ganzes Leben stets so klug eingerichtet, dass er jetzt, wo er bereits ein schönes Alter erreicht hatte, einesteils doch noch ein rüstiger und gesunder Mann war und andernteils auch ein gutes Stück als Erspartes hinter sich liegen hatte. So konnte er sich seines Alters ruhig erfreuen.
                        Frau und Kind hatte er nie gehabt; seine liebste Beschäftigung und sein eigentliches Glück war immer das Denken gewesen. Er sagte sich: Entweder ist eine Frau meinem Denken förderlich, dann ist es unnötig, sie zu ehelichen, denn was ich von ihr gewinnen will, vermag ich auch so mühelos aus ihrem Gespräch zu ziehen — oder aber sie ist meinem Denken nicht förderlich, dann hieße es eine Torheit, sie zur Frau zu nehmen, denn sie könnte mich leicht von meinen Gedanken abbringen und mir mein Glück zerstören.
                        Sein Glück war es aber, an schönen Tagen, wenn das Meer ruhte, sein Boot zu besteigen und langsam hinauszufahren, ganz allein mit seinen klugen und geliebten Gedanken. Er führte weder Waren an die nächste Küste, noch warf er das Netz nach Fischen aus; er saß still am Steuer und dachte in einem fort.
                        Da geschah es eines Tages, als die Sonne schon tiefer am Himmel stand und ihre Lichter auf den Wellen lagen wie Goldflitter auf einem dunklen Maskenkleid, dass sich ein großer, doch zierlicher Vogel, etwa von der Gestalt eines Reihers, vorn auf das Schiff des weisen Seemanns niedersetzte. Dieser bemerkte zuerst den Schatten, den der Vogel vor ihm auf den Boden des Schiffes warf, und sah dann auf.
                        Nach einem langen Nachsinnen, währenddessen er den Vogel unverwandt betrachtete, sagte der Seemann: »Du scheinst mir ein Vogel zu sein, denn du hast zwei Beine und zwei Flügel und bist am ganzen Körper mit Federn bedeckt.«
                        Der Vogel erwiderte: »Deine Gedanken haben dich zu einer richtigen Erkenntnis geführt, ich bin allerdings ein Vogel und bitte dich, mich gastlich auf deinem Schiff aufzunehmen.«
                        Der Seemann wunderte sich, dass der Vogel reden konnte, und sprach: »Gern begrüß’ ich dich als meinen Gast. Ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, einen Vogel reden zu hören, und vermute daher, dass ein Gespräch mit dir meinem Denken wohl förderlich sein möge. Nur mach ich dich darauf aufmerksam, dass du als ein Gast meines Schiffes dich auch der Ordnung wirst fügen müssen, die auf ihm herrscht und die ich als ein Ergebnis meines vielfältigsten, Jahre, lange Jahre währenden Nachdenkens hochhalten muss.«
                        Der Vogel nickte mit dem Kopf: »Sprich nur«, sagte er, »was gehört zu dieser Ordnung?«
                        »Zu ihr gehört, dass man sich nicht auf ein Bein stellt, wie du das tust, denn wollte ich ein Gleiches versuchen, so würde ich alsbald in dem schwankenden Boot umfallen und wohl gar über Bord in das Meer stürzen. Da ich es aber nicht kann, sollst auch du es nicht tun: denn es sieht wie eine Überheblichkeit aus.«
                        Der Vogel streckte geduldig das zweite Bein hervor und setzte es auf den Schiffsrand: »Weshalb soll ich nicht auch einmal auf zwei Beinen stehen!?«
                        Nachdem der Seemann den Vogel wieder eine lange Zeit betrachtet und beobachtet hatte, sagte er: »Du hast zwar einen weißen Bauch, wie viele andere Vögel und wie ihn von Natur auch die Menschen meistens besitzen, aber was ich sehr sonderbar finde und keineswegs begreifen kann ist, dass du auf dem Rücken ganz bunt, grün, rot und golden, gefiedert bist, so dass die Sonne sich ordentlich zu freuen scheint, wenn sie auf deinen Flügeldecken blinkt und schillert und einen gelben Saum um deine Gestalt zieht.
                        Die Menschen, die doch das klügste Geschlecht auf der Erde sind, pflegen sich mit einem schwarzen oder grauen oder braunen oder sonst einem schwach gefärbten Rock zu bekleiden, und die Vögel sind im allgemeinen wenigstens so gescheit, es den Menschen nachzutun. Wenn du nun dahingegen in einem so fremdartig bunten und auffallend scheckigen Aufzug daherkommst, so scheinst du mir damit wider die gemeine Bescheidenheit aller Kreatur gröblich zu verstoßen, und mich dünkt, du tätest besser daran, wenn du solcherlei törichten und hochmütigen Firlefanz von dir legen würdest.
                        Bedenke wohl, dass selbst der Vogel Strauß, mit dessen Federn doch ein so großer und schwunghafter Handel betrieben wird, nur in zwei oder drei höchst einfachen Farben herumläuft. Bedenke auch ferner, ob es wohl klug oder besonnen ist, so durch sein Äußeres von den anderen hervorzustechen und bald Neid, bald Spott, immer aber eine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken!«
                        Der Vogel riss seinen langen, spitzen Schnabel weit auf — aber ohne ein Wort zu sagen, klappte er ihn wieder zu. Seine kleinen, grauen Augen leuchteten wie vor innerem Vergnügen, er legte den Kopf etwas auf die Seite und blinzelte den alten Seemann freundlich an. Dieser fuhr fort:
                        »Und ganz besonders verdreht erscheinen mir nun noch diese langen, dünnen, gewundenen Federn, die auf deinem Kopf hin und her schwanken, als wollten sie alles, was fest steht, verhöhnen! Diese wirst du mir jetzt zuallererst einmal schleunigst abschneiden lassen.«
                        »Meinst du?« fragte der Vogel. »Und was müsste ich dann wohl noch alles tun?«
                        »Das will ich dir sagen. Ich habe hier einen guten und nützlichen Teer, mit dem ich die Bretter meines Schiffes überziehe, damit sie nicht faulen. Mit dem will ich deine Flügel bestreichen und so ihre leuchtenden Farben auslöschen. Du hast dann die Farbe des Raben — so magst du mir dann auch als Gast auf meinem Schiff bleiben, denn noch manches hätte ich mit dir zu bereden.«
                        Da sprach der Vogel: »Habe Dank für deinen guten Willen und klugen Rat! Ich bin ein höflicher und friedsamer Vogel und würde mich gewiss gern der Ordnung fügen, die hier auf deinem Schiff und in deinem nachdenksamen Kopf herrscht — wenn ich es nötig hätte und darauf angewiesen wäre. Doch bedarf ich deiner Gastfreundschaft länger nicht mehr. Schon derweilen wir uns so klug miteinander besprachen, habe ich genug gerastet, und zu neuem Flug sind meine Kräfte gesammelt. Lebe wohl!«
                        Und mit einem übermütigen lauten Schrei dehnte der bunte Vogel seine langen, schimmernden Flügel aus, schwang sich auf und flog in den blauen Abendhimmel hinaus.
                        Der Seemann war ganz verdutzt. Er wollte dem Vogel noch nachschauen, aber er vermochte es nicht: die Sonne blendete seine Augen.
                        Dann legte er den Finger an seine Nase, und nachdem er heftig nachgedacht hatte, sprach er zu sich: Merkwürdig, wie leichtfertig doch diese Vögel sind. — Ich denke mir aber, es wird das davon kommen, dass sie fliegen können.

                        Der bunte Vogel – Otto Erich Hartleben - Novelle

                        Autor*in: Otto Erich Hartleben

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                          Das letzte Haus auf der Landspitze, das schon ganz in der Nähe des Leuchtturms lag, bewohnte ein alter graubärtiger Seemann, der von den anderen Seeleuten der Gegend nicht anders als der Weise benannt wurde.