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Der Fuchs und der Storch - Fabel Aesop

Der Fuchs und der Storch ⋅ Goldene Regel ⋅ Fabel Aesop
Der Fuchs und der Storch   

Der Fuchs und der Storch 
Goldene Regel 
Fabel Aesop 


Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gast gebeten, und setzte die leckersten Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig fraß der Fuchs alles allein, obgleich er den Storch unaufhörlich bat, es sich doch schmecken zu lassen. 

Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter, lobte außerordentlich die Bewirtung und bat seinen Freund auf den andern Tag zu Gast. Der Fuchs mochte wohl ahnen, dass der Storch sich rächen wollte, und wies die Einladung ab. Der Storch ließ aber nicht nach, ihn zu bitten, und der Fuchs willigte endlich ein. 

Als der Fuchs nun anderen Tages zum Storch kam, fand er alle möglichen Leckerbissen aufgetischt, aber nur in langhalsigen Geschirren. "Folge meinem Beispiele", rief ihm der Storch zu, "tue, als wenn du zu Hause wärest." Und er schlürfte mit seinem Schnabel ebenfalls alles allein, während der Fuchs zu seinem größten Ärger nur das Äußere der Geschirre belecken konnte und nur das Riechen hatte. 

Hungrig stand er vom Tisch auf und gestand zu, dass ihn der Storch für seinen Mutwillen hinlänglich gestraft habe. 

Lehre: Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu.


Der Fuchs und der Storch ⋅ Goldene Regel ⋅ Aesop Fabel

Autor: Aesop

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    Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gast gebeten, und setzte die leckersten Speisen vor, aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte.

    Meine beiden Hände haben 10 Finger

    Meine beiden Hände haben 10 Finger - Rätsel - 10 Hände haben...?
    Meine beiden Hände haben 10 Finger

    Meine beiden Hände haben 10 Finger.
    Wie viele Finger haben 10 Hände?


    Ich zeige Dir meine Hände. 
    Es sind 10 Finger.

    Wie viele Finger haben 10 Hände?


    ▂ ▃ ▅ ▆   Antwort   ▆ ▅ ▃ ▂


    Auswahl - AVENTIN - Rätsel

    Autor: N. N.

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      Meine beiden Hände haben 10 Finger - Wie viele Finger haben 10 Hände? - Rätsel - Mit Lösung bzw. Antwort

      Weihnachtserinnerung - Karl Krolow

      Weihnachtserinnerung - Karl Krolow - Denke ich an Weihnachten
      Weihnachtserinnerung 

      Weihnachtserinnerung - Karl Krolow - Denke ich an Weihnachten 


      Denke ich an Weihnachten in den Jahren meiner Kindheit, so verbinde ich solche Erinnerungen mit der Erinnerung an Landschaft. Fast immer haben Augenblicke in mich umgebender Landschaft die Weihnachtszeit mit beeinflusst.

      Meine Eltern, besonders mein Vater, erzogen mich früh zu derartigem natürlichen Verhältnis in meiner keineswegs ländlichen Umwelt, denn ich wuchs am Rand einer Großstadt auf.

      Hier, am unregelmäßig und eigentlich unschönen Terrain, wo die letzten Neubauten aufhörten und sich saure Wiesen, Gärtnereien, Anwesen einiger Gemüsebauern und Schrebergärtensiedlungen hin zogen, ehe das erste Waldstück sichtbar wurde, ehe der wichtige Wald begann, erlebte ich meine jungen Jahre.

      Dieser Wald mit Namen ‘Eilenriede’, der sich halbkreisförmig um die Stadt zog, war damals noch ein richtiger Forst oder gab mir doch als Buben diese Illusion, dass er einer sei, wenn man vom Feld her auf ihn zukam. Dann war das Wald-Massiv, die Mischwald-Fläche - besonders bei unsichtigem Wetter - etwas mich mächtig Anziehendes, eine dunkle Wildnis.

      Ich kannte den Wald zu jeder Jahreszeit. Im Grunde war die Entfernung zwischen meinem Elternhaus und ihm gering, vielleicht zwanzig Minuten weit, und nur die dazwischen liegenden, verstreuten Gehöfte, das von Geometern bereits abgemessene Gebiet zwischen ausfallender und dann jäh im Feldstück endender städtischer Straßen, zwischen dem Ende der Wohnstraße und dem eigentlichen Wiesengrün und Ackerbraun, unterbrach die Vorstellung, dass der Wald eigentlich recht schnell erreichbar sein müsse.

      Das beiläufige und durch die Witterung so oft trist verhängte Übergangsgebiet, in dem ich mich bewegte und in dem ich mich rasch auskannte als einem idealen Spielgelände, machte den großen Flächenwald dann für mich umso begehrenswerter, in dessen Randbezirken wir Kinder unsere persönlichen Verstecke anlegten, die wir nie verrieten und schon gar nicht mit jemandem teilen wollten. Zufluchten im dichten, grünen Unterholz, in das wir uns mit unserer Phantasie zurückzogen.

      Im Eilenriedewald floss in seinem Südteil, entlang der nach Hildesheim führenden Bahnlinie, ein Rinnsal, ein verkrauteter Wassergraben, der an einer bestimmten Stelle seines Verlaufes unter einer Waldchaussee weitergeführt wurde. Der massig gemauerte Eingang zu dieser Unterführung, bogenartig angelegt, glich dem Eingang zu einer Art Wald-Unterwelt, zu einem grünen, dichten Hades.

      Wie hier das träge Wasser verschwand, um erst sehr viel später an einer von hier aus nicht einzusehenden Stelle wieder ans Licht zu treten, das war für uns Kinder immer mit einem Gefühl der Ungewissheit, des Bangens, der Beklemmung und der Neugier betrachtet worden. Im Winter fror die winzige Wasserfläche vor der Unterführung schnell zu. Man konnte auf ihr dann ein paar Schritte tun, wagte sich allerdings niemals fort ins Dunkle der unterirdischen Weiterführung.

      Ich muss noch ein sehr kleiner Junge gewesen sein, als mir mein Vater in der Vorweihnachtszeit, als wir wieder einmal gemeinsam diesen Ort passierten, vom Eingang zur unterirdischen Grabenweiterführung als vom Eingang zur Höhle des Knechtes Ruprecht zu erzählen begann, sicherlich ganz beiläufig, wie es seine Art war und wie man einem Buben meines damaligen Alters vielleicht Landschaft spannend und abenteuerlich machen kann.

      Ruprechts Bereich, das mir der Vater als ein Schatzversteck mit allen den Gaben, die er zu Weihnachten dann den Kindern unter den Christbaum legen würde, zu schildern verstanden hatte, ließ mich zunächst vermutlich nichts als nachdenklich werden. Dieser Höhleneingang - gerade an solcher Stelle - schien mir unbedingt glaubwürdig. Man musste sich hier unterirdisch wunderbar verstecken können, um dann im tiefen Höhleninneren ein ganzes Schatzlager anzulegen.

      Auf dieses Lager aber hatte ich es abgesehen. Die Vorstellung von den verborgenen Sachen ließ mich ganz offenbar nicht los. Weihnachten, das in jedem Jahr ungeduldig erwartete Fest, rückte näher mit dem unberechenbaren Dezember, unberechenbar mit dem Auf und Ab der niederdeutschen Witterung, die zwischen nassem, flüchtigem Schnee und Nebel- oder Regenwetter schwankte, bei ständig gehendem Wind, der aus der Ebene fegte und nirgends Widerstand fand.

      Plötzlich gab es einen frühen Wintereinfall mit Frost und lange niedergehendem Schnee, einige Tage vor dem Fest. Die Schnee-Einsamkeit des Eilenriedewaldes, durch die mich mein Vater nun mit dem Schlitten zog, war überwältigend. Ein richtiger Märchenwald war entstanden, in dem der Schnee von den Ästen in die Augen stäubte, nachdem es sich endlich ausgeschneit hatte und alles in seiner weißen Pracht da lag.

      Wir kamen sicherlich auch an jenen Waldfleck, wo Ruprechts Höhle lag. Ich erinnere mich dessen nicht mehr genau. Genau dagegen weiß ich, dass es für mich - ausgerechnet am Vormittag des Heiligen Abends - kein Halten mehr gab.

      Meine Erwartungen waren wie meine Ungeduld auf das höchste gespannt. Ich hatte Ruprechts Höhle nicht vergessen können, die jetzt sicherlich, mit dem vereisten Wasserloch davor, halb zugeschneit war, die vor allem auch für ein gewöhnliches Menschenkind, für mich, erreichbar, passierbar sein musste, nachdem das Grabenwasser wohl bis auf den Grund gefroren war.

      Auf einmal war ich auf dem Weg zu Ruprechts Reich, mit dem Schlitten, den ich hinter mir herzog, in einem günstigen Augenblick Haus, Straße und Spielgefährten verlassend. Die Neugier, das Abenteuer, meine Phantasie hatten mich überwältigt.

      An diesem kalten Wintervormittag, der schon fast Mittag war, war ich unversehens unterwegs, allein, wie es sich gehört, denn ich wollte das Geheimnis für mich alleine haben. Ich wollte niemanden dabeihaben, bei meiner Entdeckung. Ich war unerschrocken genug, nach alldem, was ich mir erhoffte, um das Wagnis allein auf mich zu nehmen.

      Ich weiß die Einzelheiten dieses Hinweges, des Hingezogenwerdens nicht mehr. Auf einmal aber fand ich mich jedenfalls an jener Waldstelle mit vereistem Krautgraben und an dieser Stelle merkwürdig dünner Schneedecke.

      Hier angekommen, muss sich bei mir einiges verändert haben. Das Zeitgefühl muss ausgesetzt haben. Habe ich gezögert? – Habe ich – mit dem im Gebüsch schließlich abgestellten Schlitten – den Höhleneingang, nun doch vielleicht furchtsam geworden, immer langsamer und doch zugleich immer geduldiger, erwartungsvoller umkreist und eingekreist? Bin ich dabei allmählich ermüdet, ohne es zunächst zu merken, ohne es danach wahrhaben zu wollen?

      Meine Eltern haben mir später zuweilen erzählt, wie der Heilige Abend oder doch die Stunden vor diesem Abend verliefen: in quälender Unruhe, in Sorge um meinen Verbleib. Mein Verschwinden war bald bemerkt worden. Und als ich noch nicht heimgekommen war, als mein Vater vom Dienst und einem anschließenden Zusammensein mit Kollegen nach Hause zurückkehrte, war die Aufregung groß.

      Etwas musste geschehen. Die Zeit verstrich. Niemand musste genau, wie lange ich fort war, weil ich – wie gesagt – mich unbeobachtet fortgestohlen hatte. Die Eltern überlegten ratlos, wohin ich mich gewendet haben könnte.

      Sie fragten die Spielkameraden aus. Niemand konnte Auskunft geben. Ich hatte niemanden eingeweiht, weil ich niemanden hatte bei mir haben wollen. Ich wollte allein das Abenteuer meiner Erwartungen, meiner kindlichen Weihnachtsneugier bestehen und hatte es inzwischen bekommen: Abenteuer des Alleinseins im eiskalten, einsamen Winterwald, bei allmählich, dann immer rascher sinkendem Tageslicht.

      Was von diesem Heiligabend-Stunden im verschneiten Wald vor der Weihnachts-Höhle des Knecht Ruprecht sich in meinem Gedächtnis erhalten hat, sind verwischte Kleinigkeiten: die Erinnerung an eine knisternde Schneestille, an vom Wind seufzendes Geäst, an eine kalte, von mir, meinen Gliedern, meinem Körpergefühl langsam Besitz ergreifende Einsamkeit, ein Abgeschnittensein, ein Leben in einem Zwischenbereich, mit aufkommender, dann wieder niedergekämpfter Angst, von Isolation und Fortsein von allem, von Mutlosigkeit, von einer merkwürdigen Verlorenheit und einem ebenso merkwürdigen Entzücken, während es um mich zu dämmern begann.

      Ich blieb gebannt. Ich konnte den verlorenen Waldort nicht aufgeben. Ich war unschlüssig. Ich wusste nicht weiter, vermutlich. Ich hatte das Wagnis nicht bestanden, war nicht in die Höhle eingedrungen, sondern hatte sie immer nur angestarrt, hatte vor ihr und ihrem Dunkel Halt gemacht und hatte vergessen, was vorher war und was nachher kam.

      Auf einmal sah ich mich in meiner Verlassenheit meinem Vater gegenüber. Er hatte sich mit einem Freund auf die Suche gemacht, hatte sich daran erinnert, was er mir von Knecht Ruprechts Versteck verheißen hatte, und hatte dann schnell geahnt, dass ich nur in oder vor ihm aufzufinden sein müsste.

      Die beiden jungen Männer waren verlegen und froh, als sie mich sahen. Mein Vater hatte mich richtig eingeschätzt. Er hatte nicht die Polizei verständigen müssen. Und nun musste er mich aus einem Traum hochreißen, den ich nur halb und ganz unvollkommen zu träumen begonnen hatte, an diesem Tag, den man den Heiligen Abend nennt: ein Traum, auf den ich später nicht habe zurückkommen brauchen.

      Ein Traum, auf den man niemals zurückkommen wird, weil er nicht wiederholbar ist.

      Weihnachtserinnerung - Karl Krolow - Weihnachten - Erinnerung

      Autor: Karl Krolow

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        Denke ich an Weihnachten in den Jahren meiner Kindheit, so verbinde ich solche Erinnerungen mit der Erinnerung an Landschaft. Fast immer haben Augenblicke in mich umgebender Landschaft die Weihnachtszeit mit beeinflusst.

        Ich sehn' mich so nach Weihnachten

        Ich sehn mich so nach Weihnachten - Hermann Hesse
        Ich sehn mich so nach Weihnachten  

        Ich sehn mich so nach Weihnachten - Hermann Hesse 


        Ich sehn’ mich so nach einem Land 
        der Ruhe und Geborgenheit. 
        Ich glaub’, ich hab’s einmal gekannt, 
        als ich den Sternenhimmel weit 
        und klar vor meinen Augen sah, 
        unendlich großes Weltenall. 

        Und etwas dann mit mir geschah: 
        Ich ahnte, spürte auf einmal, 
        dass alles: Sterne, Berg und Tal, 
        ob ferne Länder, fremdes Volk, 
        sei es der Mond, sei’s Sonnnenstrahl, 
        dass Regen, Schnee und jede Wolk, 
        dass all das in mir drin ich find, 
        verkleinert, einmalig und schön. 

        Ich muss gar nicht zu jedem hin, 
        ich spür das Schwingen, spür die Tön’ 
        eines jeden Dinges, nah und fern, 
        wenn ich mich öffne und werd’ still 
        in Ehrfurcht vor dem großen Herrn, 
        der all dies schuf und halten will. 

        Ich glaube, das war der Moment, 
        den sicher jeder von uns kennt, 
        in dem der Mensch zur Lieb’ bereit: 
        Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit! 


        Ich sehn’ mich so nach Weihnachten -  Ruhe und Geborgenheit 

        Autor: Hermann Hesse

        Bewertung des Redakteurs:

        URL: https://aventin.blogspot.com/2020/12/ich-sehn-mich-so-nach-weihnachten.html

          Ich sehn' mich so nach einem Land der Ruhe und Geborgenheit. Ich glaub', ich hab's einmal gekannt, als ich den Sternenhimmel weit und klar vor meinen Augen sah.

          Der körperliche Aspekt des Menschen

          Der körperliche Aspekt des Menschen - R.M.F - Alltagspsychologie
          Der körperliche Aspekt  

          Der körperliche Aspekt des Menschen - R.M.F - Alltagspsychologie 


          So mannigfach sich die Menschen darstellen: bald mit schwarzer, gelber, roter oder weißer Haut, bald groß und bald klein, gelehrt oder ungelehrt, bald einsam oder gesellig – es gibt doch jenseits dieser Verschiedenheiten ein Gemeinsames, das sie alle eben zu Menschen macht.

          Dies allen Individuen, Ethnien und Geschlechtern gemeinsame Wesen suchen wir zunächst zu ermitteln, in der Hoffnung, von hier aus auch ihre Verschiedenheiten zu ergründen. Einen Vertreter der Gattung »homo sapiens«, vielleicht sollten wir schlechthin bei Adam und Eva anfangen, rufen wir auf, damit er uns sein Wesen offenbare.

          Zugegeben, dass solcher »Normalmensch« in konkreter Wirklichkeit nirgends vorkommt, dass er eine gedankliche Konstruktion ist wie alle reinen Begriffe, mit denen die Wissenschaft arbeitet: wir behaupten dennoch, dass er als ideales Grundschema in jedem Menschen darinsteckt, dass erst die Kenntnis dieser schematischen Grundform es uns ermöglicht, die Einzelmenschen in ihrer Besonderheit zu verstehen.

          Wir geben ferner zu, dass »der« Mensch auch niemals in jener Isolation, wie wir ihn auf unsere Untersuchungsbühne stellen, zu finden ist, dass er nur zu leben vermag in engstem Kontakt mit vielgestaltiger Umwelt, vor allem mit anderen Wesen seinesgleichen; auch davon sehen wir zunächst ab, um ihn in künstlicher Reinheit zu studieren, alle jene Beziehungen zu anderen Menschen und zum Nichtmenschlichen späterer Untersuchung vorbehaltend.

          Nehmen wir an, wir sähen einen solchen Menschen mit den Augen unseres Gastes aus Utopien, der zum ersten Mal einen Menschen erblickte: was würden wir finden? Sicherlich nicht den Menschen, wie wir ihn sehen; denn uns ist der Mensch stets »beseelter« Mensch, wir sehen in ihm stets eine Seele mit, die wir auf Grund unserer eigenen Wesensart ihm unterlegen.

          Jenem nichtmenschlichen Auge jedoch müsste der Mensch nur als Körper erscheinen: wir würden an seiner Stelle wahrnehmen einen zwar symmetrischen, aber sonst recht unregelmäßigen zylinderförmigen Rumpf, aufruhend auf zwei stämmigen, mehrgliedrigen und beweglichen Stützen, flankiert von zwei dünneren, astartigen, ebenfalls beweglichen und mehrgliedrigen Gebilden und überragt von einem gestielten Aufsatz in unregelmäßiger Eiform. Das Ganze wäre umschlossen von einer Hülle aus ungegerbtem Leder, warm und weich anzufühlen.

          Blickten wir genauer hin, so würden wir in dieser Haut, zumeist an dem eiförmigen Aufsatz, Öffnungen gewahren: zwei von muschelartigen Gebilden umrahmte an den Seiten, zwei bunte Fenster vorn, zwei weitere Löcher darunter an dem erkerartigen Ausbau, den wir Nase nennen, durch die unablässig Luft eingenommen und ausgestoßen wird; darunter wieder eine größere Öffnung, durch die zuweilen merkwürdige Töne kommen, und in die zu Zeiten allerlei Stücke von Pflanzen und Tierleichen geschoben werden, während durch andere Körperöffnungen übel riechende Stoffe ausgeschieden werden.

          Hätten wir ferner die Gabe, durch die Haut dieses Körpers hindurchzusehen, wir würden erkennen, dass dies so skurril anzuschauende Gebilde im Inneren höchst kunstvoll eingerichtet ist. Wir würden sehen, dass das Ganze gefestigt ist durch ein Gerüst solider, weißer Röhren, die sich zuweilen verdicken oder blätterartig verbreitern, dass sich um dieses Gerüst die Masse des weichen elastischen Fleisches schließt, das sich mannigfach ausdehnen und zusammenziehen kann und durchpulst wird von einer warmen, purpurnen Flüssigkeit, die ihrerseits von einer hohlen, rhythmisch arbeitenden Pumpe getrieben wird.

          Wir würden weiter eine aus zähem Stoff geformte Retorte finden, die die darin versenkten Pflanzen- und Tierreste zersetzt und in hohle Schläuche weiterschiebt, wir würden ein weitverbreitetes, unendlich feinästiges Netz dünner, weißlicher Fäden gewahren, die sich im Rücken in langem, dickerem Stamm und im Kopf in einer weichen breiigen Masse verlieren. Und hätten wir mikroskopische Augen, so sähen wir, dass alle diese Gebilde, die Muskeln, Gewebe und Nerven, gefügt sind aus Millionen feinster Zellen, die in höchst merkwürdigen Wechselbeziehungen stehen und unablässig mannigfachen Tätigkeiten obliegen.

          Legen wir die Begriffe der modernen Chemie an, so müssen wir sagen, dass diese Apparate, die wir da an der Arbeit sehen, sehr verwickelten Oxydations- und Reduktionsprozessen dienen, dass ferner zahlreiche Gärungsvorgänge darin geschehen, und dass der ganze Körper, der sich zunächst als festes Gebilde darstellte, in Wahrheit sich in einem »kollioden« Zustand, einem eigentümlichen Zwischenzustand zwischen fest und flüssig befindet und letztlich aufgebaut ist aus Eiweiß, Lipoiden, Fetten, Salzen und Wasser.

          Zu alledem müsste dann weiter die Beobachtung treten, dass dies ganze unregelmäßige und doch so kunstvoll eingerichtete Ding mannigfacher Bewegungen fähig ist: dass es sich aufrichten und niederlegen, vor- und rückwärtsstelzen, greifen und stoßen, schlagen, kratzen und mannigfache sonderbare, bloß von außen gesehen völlig sinnlose Bewegungen mit Lippen und Augen, mit der Stirnhaut und den Kinnbacken ausführen kann und als Ganzes beständig ein freilich labiles Gleichgewicht wahrt.

          Alles das würde ein Beobachter, der allem Menschlichen fremd wäre, feststellen können; aber er würde es nicht »verstehen«, es würde ihm sinnlos vorkommen; die Gestalt, die wir je nachdem schön oder hässlich nennen, würde ihm unförmig scheinen, wie uns Gebilde, die entstehen, wenn man glühendes Zinn im Wasser erkalten lässt, die Bewegungen müssten ihm lächerlich dünken, wie uns die Bewegungen einer vom Wind gezausten Vogelscheuche.

          Alles das aber nur darum, weil er darin nicht das mitsehen würde, was wir, ohne es zu wissen und zu wollen, stets darin mitschauen, was jenes körperliche Gebilde erst zum ganzen Menschen macht: die Seele.

          Der körperliche Aspekt des Menschen – Vom Sinn des Lebens – R.M.F – Alltagspsychologie

          Autor: R.M.F

          Bewertung des Redakteurs:

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            So mannigfach sich die Menschen darstellen: bald mit schwarzer, gelber, roter oder weißer Haut, bald groß und bald klein, gelehrt oder ungelehrt, bald einsam oder gesellig – es gibt doch jenseits dieser Verschiedenheiten ein Gemeinsames, das sie alle eben zu Menschen macht.

            Der Bewusstseinsaspekt des Menschen

            Der Bewusstseinsaspekt - R.M.F - Alltagspsychologie
            Der Bewusstseinsaspekt  

            Der Bewusstseinsaspekt - R.M.F - Alltagspsychologie


            Der Körper allein ist uns Menschen niemals ein Mensch. Wir sehen in ihm immer etwas, das seinen Bewegungen Sinn gibt, ein Bewusstsein, das als Streben, Wollen und Fühlen die Bewegungen voranzutreiben und zu steuern, ihnen als Wahrnehmung, Vorstellung oder Gedanke gleich einem Scheinwerfer vorauszuleuchten scheint.

            Wir sehen all das in den Menschen, weil es in uns selbst sein Wesen treibt, weil es in unserem Körper irgendwie sitzt wie ein unsichtbarer Chauffeur im Automobil und mit unsichtbaren Hebeln und Kurbeln unsere Glieder blitzschnell herumreißt, anspannt und wieder löst.

            Wir nennen dies gespenstige Etwas, das wir in unseresgleichen wie in uns selbst hineindenken, das »Bewusstsein« oder die »Seele«. Fragen wir freilich, was das ist, so merken wir erst, dass diese Wörter nur ein Chiffre sind, mit denen wir etwas bezeichnen, was mit den Begriffen und Denkmitteln, die sie uns liefern, schwer zu fassen ist.

            Solange es Menschen gibt, haben sie sich eine Seele zugeschrieben; erst in Spätzeiten der Kultur beginnt man an ihrem Vorhandensein zu zweifeln, genauer gesagt, freilich nur an der Art, wie man sich in primitiven Völkern und Zeiten die Seele vorstellte. Hier nämlich gilt als Seele ein hauch- oder schattenhaftes Wesen, eine Art »unkörperlicher Körper«, der im sichtbaren Körper wohnt und ihn im Traum, in Krankheiten und im Tod verlässt, entweder um in andere Körper überzuwandern oder um ein raum- und zeitloses Leben zu führen. Ja, bis in vornehmste Kulturreligionen spielen diese Vorstellungen hinein.

            Wir lassen an dieser Stelle solche Fragen beiseite. Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, die Unsterblichkeit der Seele zu verteidigen, noch den Glauben daran zu zertrümmern. Aber wir lehnen auf jeden Fall die Meinung jenes Anatomen ab, der da sagte, er habe bei all seinen Sezierleistungen niemals eine Seele in einem menschlichen Körper gefunden.

            Solche Äußerungen scheinen uns nicht klüger als die jenes Eingeborenenhäuptlings, der, ein Buch von hinten bis vorne durchblätternd, erklärte, er finde darin nirgends die Spur eines Geistes. Gewiss finden wir in unserem Körper nicht jene primitive Hauch- oder Schattenseele, aber wir finden ein Etwas, das wir unmittelbar erleben: ein »Bewusstsein«, das man heute vielfach mit der Seele gleichsetzt, obwohl die Seele sicherlich mehr ist als nur Bewusstsein.

            Wir halten uns an, was wir unmittelbar erleben! Dies ist ohne Zweifel, dass innerhalb des Körpers, den wir als unseren eigenen auffassen, unablässig eine kaleidoskopartig wechselnde Flucht von Stimmungen, Gefühlen, Willensregungen, Vorstellungen und Gedanken geschieht, die uns zum Teil durch äußere Sinne zuzuströmen scheint, ja, die wir zum Teil als Wahrnehmungen außer uns im Raum um uns her, zu erleben vermeinen, obwohl uns das Schließen der Augen oder der Ohren darüber belehrt, dass sie in unserem Innern vor sich gehen.

            Ein buntes, phantastisches Geschehen ist es, ungreifbar und doch nicht sinnlos, das man bald einem Strom, bald den aufeinanderfolgenden Bildern eines Kinematographen, bald einem Schattenspiel verglichen hat, und für das doch jeder Vergleich aus der körperlichen Welt vollkommen unzureichend ist, ein Geschehen, von dem wir nur wissen, dass es mit unserem Körper und dessen Teilen in einem höchst rätselvollen Zusammenhang steht, derart, dass gewisse Vorgänge des Körpers sich im Bewusstsein bemerkbar machen, wie denn auch andererseits manche Vorgänge im Bewusstsein die Bewegungen des Körpers zu veranlassen oder zu hemmen vermögen.

            Das ist der Tatbestand, den wir freilich bereits überschreiten, wenn wir jene bunte Vielfalt der Bewusstseinsvorgänge als Einheit zusammenfassen. Das aber tun wir, ohne es zu wissen und zu wollen, beständig, wenn wir dieses zerrinnende Schattenspiel als »Bewusstsein«, als »Seele«, als »unsere« Seele, die »Seele unseres zugleich körperlichen Ich« ansprechen.

            Denn indem wir das tun, denken wir gleichsam zu den flimmernden Spiegelungen einen Spiegel hinzu, zu den bunten, wechselnden Lichtern eine Lampe, zu den vorüberhuschenden Tönen eine Art Orgel. Wir verräumlichen das Unräumliche, wir verfestigen das Unfeste, wir materialisieren das Immaterielle.

            Vor seltsame Widersprüchlichkeit also sind wir gestellt: wir nehmen uns selbst und die Welt als körperlich wahr kraft eines Vermögens, das selbst unkörperlich ist; wir erkennen aber andererseits wiederum, dass dies Vermögen, dies Bewusstsein, nur in Verbindung mit Körperlichem vorkommt. Alle Versuche, die man gemacht hat, um über jene Widersprüchlichkeit hinauszukommen, sind teils absurd, teils unzureichend.

            Der »Materialismus« will nur den Körper gelten lassen und erklärt alles Seelische für belanglose Nebenerscheinung des Körperlichen, was sicherlich widersinnig ist, da uns ja alles Körperliche nur durch dies Seelische, das sicher nicht körperlich ist, bekannt ist.

            Andererseits will der »Spiritualismus« nur das Seelische gelten lassen und bestimmt alles Körperlich als Inhalt des Bewusstseins, was ebenfalls widersinnig ist, da wir allenthalben »Dingen« gegenüberstehen, die ganz sicher nicht nur in unserem Bewusstsein sind. Und wenn wir als deren logischen Ort ein »Bewusstsein überhaupt« konstruieren, so schaffen wir einen »Deus ex machina«, für den auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit spricht. Wie immer wir die Sache wenden, immer steht diese Zweiheit vor uns: Körperliches einerseits, Seelisches andererseits.

            In der neueren Wissenschaft ist man deshalb vorsichtiger geworden, insofern man sich eines endgültigen Urteils über das Wesen der beiden so verschiedenen Seinssphären enthält und, ohne weiterzugehen, nur von einem »Parallelismus« oder »Dualismus« spricht. Man sagt, es liefe gewissen physiochemischen Prozessen in Nerven und Hirn ein Bewusstsein parallel, das jedoch nicht eingriffe in diese Vorgänge, wobei freilich die Frage, warum es denn da sei, recht wenig beantwortet ist.

            Andere, die Anhängen der »Wechselwirkungslehre«, vermeiden diese Schwierigkeit, indem sie dem Bewusstsein, wenn auch nicht die Möglichkeit einer Durchbrechung des physischen Kausalzusammenhangs, so doch die Möglichkeit einer »Steuerung« zuschreiben, wobei freilich sowohl die Art, wie diese geschehen soll, als auch die Frage nach dem Wesen des Psychischen im dunkeln bleibt.

            Wir halten es für wissenschaftlicher, statt brüchige Vermutungen als letzte Erkenntnis auszugeben, die ungelöste Problematik dieser Dinge einzugestehen. Wir stellen nur fest, dass unser unmittelbares Erleben das Vorhandensein eines Bewusstseins erweist, und dass uns auch das Leben des Körpers nur verständlich wird, indem wir ein solches Bewusstsein hinzudenken.

            Wir können den Menschen nur als »Einheit von Leib und Bewusstsein« denken, auch wenn diese Einheit selbst uns rätselhaft bleibt. Immerhin jedoch lässt sich über diese Einheit mancherlei sagen, was geeignet ist, verbreitete Anschauungen in entscheidenden Punkten zu berichtigen.

            Der Bewusstseinsaspekt des Menschen – Vom Sinn des Lebens – R.M.F – Alltagspsychologie 

            Autor: R.M.F

            Bewertung des Redakteurs:

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              Der Körper allein ist uns Menschen niemals ein Mensch. Wir sehen in ihm immer etwas, das seinen Bewegungen Sinn gibt, ein Bewusstsein, das als Streben, Wollen und Fühlen die Bewegungen voranzutreiben und zu steuern, ihnen als Wahrnehmung, Vorstellung oder Gedanke gleich einem Scheinwerfer vorauszuleuchten scheint.

              Das Liniengleichnis - Antike Philosophie

              Das Liniengleichnis – Antike Philosophie von Platon
              Das Liniengleichnis   

              Das Liniengleichnis – Antike Philosophie von Platon

               
              Das Liniengleichnis ist ein bekanntes Gleichnis der antiken Philosophie. Es stammt von dem griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.), der es am Ende des sechsten Buches seines Dialogs Politeia von seinem Lehrer Sokrates erzählen lässt.

              Unmittelbar zuvor hat Sokrates das Sonnengleichnis vorgetragen. Am Anfang des siebten Buches folgt das Höhlengleichnis, das letzte der drei berühmten Gleichnisse in der Politeia. Alle drei Gleichnisse veranschaulichen Aussagen von Platons Ontologie und Erkenntnistheorie.

              In den drei Gleichnissen wird spezifisch platonisches Gedankengut vorgetragen. Der „platonische“ Sokrates, der hier als Sprecher auftritt und die Gleichnisse erzählt, ist eine literarisch gestaltete Figur. Seine Position kann daher nicht mit der des historischen Sokrates gleichgesetzt werden.

              Im Liniengleichnis wird die gesamte erkennbare Wirklichkeit mit einer senkrecht vorgestellten Linie verglichen. Die Linie ist in vier ungleiche Abschnitte geteilt, die für vier Erkenntnisweisen und die diesen zugeordneten Erkenntnisgegenstände stehen.

              Zwischen ihnen besteht eine hierarchische Ordnung. Die Erkenntnisweisen sind nach ihrer Zuverlässigkeit, die Erkenntnisgegenstände nach ihrem Rang geordnet. Den zwei Hauptabschnitten der Linie entsprechen die Bereiche des sinnlich Wahrnehmbaren (unten) und des rein Geistigen (oben).


              Denke dir also, fuhr ich fort, wie gesagt, jene zwei, und das eine, denke dir, herrsche über das denkbare Geschlecht und Gebiet, das andere über das Sichtbare – ich sage das Sichtbare und nicht des Lichts, damit ich dir es nicht zu gelehrt zu treiben scheine in Bezug auf den Ausdruck – aber du merkst dir doch diese zwei Arten, das des Sichtbaren und das des Erkennbaren?

              Ja.

              Als wenn du nun eine in zwei ungleiche Abschnitte geteilte Linie hättest, nimm wiederum mit jedem von beiden Abschnitten, sowohl mit dem des durchs Auge sichtbaren als auch mit dem des durch die Vernunft erkennbaren Gebietes, wiederum nach demselben Verhältnisse eine abermalige Teilung vor, und du wirst dann bei dem durch das Auge sichtbaren Abschnitte in Bezug auf Deutlichkeit und Undeutlichkeit zu einander an dem einen Unterabschnitte Bilder haben.

              Ich verstehe aber unter Bildern erstens die Schatten, sodann die Spiegelungen in den Wassern, in allen Körpern von dichter, glatter und reflektierender Oberfläche und überhaupt in jedem Dinge dieser Eigenschaft, wenn du es begreifst?

              Ja, ich begreife.

              Unter dem anderen Unterabschnitte, dem der sichtbaren Welt, von dem der eben genannte nur Schattenbilder darstellt, denke dir sodann die uns umgebende Tierwelt, das ganze Pflanzenreich und die sämtliche Erzeugnisse des Kunstfleißes.

              Ich tue es, sagte er.

              Wärst du denn nun auch bereit, fuhr ich fort, einzuräumen, dass jener erste Abschnitt auch in Bezug auf Wahrheit und deren Gegenteil sich verhält, wie im Bereich des Wissens das Meinbare zu dem durch die Vernunft Erkennbaren, also sich verhalte wie das Schattenbild zu dem wirklichen Gegenstand?

              Oh ja, sagte er, sehr gerne.

              So betrachte denn nun den anderen Abschnitt, den des durch die Vernunft Erkennbaren, wie er in Unterabschnitte zu teilen ist!

              Wie?

              Den ersten Unterabschnitt desselben muss die Seele von unerwiesenen Voraussetzungen ausgehend erforschen, indem sie sich dabei der zuerst geteilten Unterabschnitte wie Bilder bedient und dabei nicht nach dem Anfang zurückschreitet, sondern nach dem Ende hin schreitet.

              Den anderen Unterabschnitt jener Hälfte aber erforscht sie, indem sie zu dem auf keiner Voraussetzung beruhenden Anfang schreitet und ohne Hilfe von Bildern, deren sie sich bei ersterem Unterabschnitt des Erkennbaren bedient, nur mit Begriffen den Weg ihrer Forschung bewerkstelligt.

              Die Gedanken, sagte er, welche du hier aussprichst, habe ich nicht recht verstanden.

              Nun, erwiderte ich, du wirst sie bald leichter verstehen, wenn folgende Worte vorausgeschickt sind: Ich glaube, du weißt ja doch, dass die, welche sich mit Geometrie und Arithmetik und dergleichen abgeben, den Begriff von Gerade und Ungerade, von Figuren und den drei Arten von Winkeln und sonst dergleichen bei jeder Verfahrensart voraussetzen, als seien sie sich über diese Begriffe im Klaren, während sie diese doch nur als unerwiesene Grundlagen nehmen und weder sich noch anderen davon Rechenschaft schuldig zu sein glauben, führen dann das Weitere durch und kommen so folgerecht an dem Ziel an, auf dessen Untersuchung sie ausgegangen waren.

              Ja, sagte er, das weiß ich allerdings.

              Nicht wahr, auch das weißt du, dass sie sich der sichtbaren Dinge bedienen und ihre Demonstrationen auf jene beziehen, während doch nicht auf diese als solche, als sichtbare, ihre Gedanken zielen, sondern nur auf das, wovon jene sichtbaren Dinge nur Schattenbilder sind?

              Nur des Vierecks selbst und seiner Diagonale wegen machen sie ihre Demonstrationen, nicht derentwegen, die sie mit einem Instrument auf die Tafel zeichnen, und so verfahren sie in allem übrigen. Selbst die Körper, die sie bilden und zeichnen, wovon es auch Schatten und Bilder im Gewässer gibt, eben diese Körper gebrauchen sie weiter auch nur als Schattenbilder und suchen dadurch zur Schauung eben jener Ausführung zu gelangen, die niemand anders schauen kann als mit dem denkenden Verstand.

              Richtig bemerkt, sagte er.

              Das ist’s also, was ich vorhin meinte, als ich von dem einen Unterabschnitt der bloß durch die Vernunft erkennbaren Hälfte sagte, dass die Seele bei dessen Erforschung von unerwiesenen Voraussetzungen auszugehen genötigt sei, indem sie nicht auf den Anfang zurückgeht, weil sie über ihre Voraussetzungen nicht hinausgehen könne, endlich, dass sie sich dabei als Bilder bediene nicht nur der eigentlichen Bilder von der sinnlichen Körperwelt, sondern auch jener sinnlichen Körperwelt selbst, die von den gewöhnlichen Leuten im Vergleich zu jenen Nachbildungen für hell und klar gehalten und geschätzt sind.

              Ich verstehe, sagte er, dass du die Geometrie und den damit verwandten Wissenschaften meinst.

              So verstehe denn nun auch, dass ich unter dem anderen Unterabschnitt der nur durch die Vernunft erkennbaren Hälfte das verstehe, was die Vernunft durch die Macht der Dialektik, erfasst und wobei sie ihre Voraussetzungen nicht als Erstes und Oberstes ausgibt, sondern als eigentliche Voraussetzungen, gleichsam nur als Einschritts- und Anlaufungspunkte, damit sie zu dem auf keiner Voraussetzung mehr beruhenden Anfang des Ganzen gelangt.

              Und wenn sie ihn erfasst hat, an alles sich haltend was mit ihm in Zusammenhang steht, wieder herabsteige ohne das sinnlich Wahrnehmbare dabei zu verwenden, sondern nur die Begriffe selbst nach ihrem Zusammenhang, und mit Begriffen auch abschließe.

              Ganz verstehe ich das nicht, sagte er, denn es scheint sich da um eine sehr bedeutende Aufgabe zu handeln. Aber soviel verstehe ich doch, du willst durch diese Gegenüberstellung feststellen, dass demjenigen, was durch die auf das Seiende und Gedachte gerichtete Wissenschaft der Dialektik betrachtet wird, größere Sicherheit und Deutlichkeit zukommt als dem von den sogenannten Wissenschaften Erkannten, denen die Voraussetzungen zugleich das Erste und Oberste sind, und bei denen die Betrachtenden ihren Gegenstand zwar mit dem Verstand, nicht mit den Sinnen zu betrachten genötigt sind.

              Aber, weil ihre Betrachtungsweise sie nicht aufwärts zu dem Ersten und Obersten führt, sondern sich auf bloße Voraussetzungen stützt, es dir nicht zu vernünftiger Einsicht über ihre Gegenstände zu bringen scheinen, obschon auch sie einer Vernunfterkenntnis mit Einschluss des Ersten und Obersten zugänglich sind.

              Verstandeserkenntnis aber, und nicht Vernunfterkenntnis scheinst du mir das von den geometrischen und den ihnen verwandten Wissenschaften eingehaltene Verfahren zu nennen, da du sie für etwas Mittleres hältst zwischen bloßer Meinung und Vernunft.

              Das hast du durchaus richtig aufgefasst, sprach ich. Und so lass denn jenen vier Abschnitten auch vier Seelenzustände entsprechen, Vernunfttätigkeit dem obersten, Verstandestätigkeit dem zweiten, dem dritten aber weise den Glauben und dem vierten das Wahrerscheinen zu, und ordne sie nach dem Verhältnis, dass du ihnen denjenigen Grad von Deutlichkeit beimisst, welcher dem Anteil entspricht, den sie an der Wahrheit haben.

              Ich verstehe, sagte er, und räume es ein und ordne sie wie du sagst.

              Das Liniengleichnis - Antike Philosophie - Platon

              Autor: Platon

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                Das Liniengleichnis ist ein bekanntes Gleichnis der antiken Philosophie. Es stammt von dem griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.), der es am Ende des sechsten Buches seines Dialogs Politeia von seinem Lehrer Sokrates erzählen lässt.

                Der tiefere Sinn - A. J. Cronin

                Der tiefere Sinn - Ignatius von Loyola - A. J. Cronin
                Der tiefere Sinn 

                Der tiefere Sinn alles schöpferischen Erfolges 
                liegt im Sieg über sich selbst 
                A. J. Cronin -


                Ignatius von Loyola spielte eines Tages ein Ballspiel mit befreundeten Studenten, als plötzlich jemand mit allem Ernst die Frage aufwarf, was ein jeder von ihnen tun würde, wenn er wüsste, dass er in zwanzig Minuten sterben müsste.

                Alle waren sich darüber einig, dass sie in wilder Hast zur Kirche stürzen würden, um dort zu beten, alle, außer Ignatius. Der antwortete: "Ich würde mein Ballspiel zu Ende spielen!"

                Der tiefere Sinn alles schöpferischen Erfolges, wie ihn Ignatius kannte, liegt im Sieg über sich selbst. Alle, die diesen Sieg kennen, werden niemals die Niederlage erleben. 

                Der tiefere Sinn alles schöpferischen Erfolges im Leben liegt im Sieg über sich selbst - A. J. Cronin - Anekdote

                Autor: A. J. Cronin

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                  Der tiefere Sinn alles schöpferischen Erfolges liegt im Sieg über sich selbst - A. J. Cronin - Ignatius von Loyola spielte eines Tages ein Ballspiel ...

                  Großer Mann und schwarzer Hund

                  Großer Mann und schwarzer Hund - Christine Nöstlinger - Märchen
                  Großer Mann und schwarzer Hund   

                  Großer Mann und schwarzer Hund 
                  - Christine Nöstlinger
                  Märchen


                  Jedes Mal, wenn der Willi etwas tat, was der Mutter nicht gefiel, sagte die Mutter: "Willi, der große Mann wird dich gleich holen!" oder: "Willi, der schwarze Hund wird kommen und dich beißen!"

                  Der Willi dachte oft an den großen Mann und an den schwarzen Hund und malte sich aus, wie die beiden wohl aussehen mochten. Den schwarzen Hund stellte sich der Willi sehr wild vor. Mit Borstenhaaren und Feueraugen, mit einer Teufelszunge und Vampirzähnen.

                  Den großen Mann stellte sich der Willi sehr groß vor. Und auch sehr breit. Mit riesigen Händen und grünen Augen im krebsroten Gesicht.

                  Einmal saß der Willi in seinem Zimmer und zerlegte den Wecker. Er wollte nachschauen, warum der Wecker läuten konnte. Gerade als er den letzten Knopf von der Weckerrückseite abgeschraubt hatte, ging die Zimmertür auf. Der große Mann und der schwarze Hund kamen herein.

                  Die beiden sahen ganz anders aus, als der Willi gedacht hatte. Sie sahen uralt und auch ein bisschen schäbig aus. 

                  Der Hund war dick, hatte kurze Beine, breite Hängeohren und wenig Haare. Zwischen den wenigen schwarzen Locken schaute überall rosa Haut hervor. Aus seinem zahnlosen Maul hing eine feuchte rosa Zunge. Seine Augen waren wasserblau.

                  Der große Mann war nicht größer als einen halben Meter. Er hatte schneeweiße Haare und ein Gesicht voller Runzeln. Sein magerer Körper steckte in einem schwarzen altmodischen Samtanzug.

                  Der schwarze Hund legte sich gleich neben Willi auf den Boden. Der große Mann schaute auf den Willi und auf den Wecker und schüttelte den Kopf und sagte: "Ohne Schraubenzieher wirst du da nicht weiterkommen!"

                  Der Mann zog einen Schraubenzieher aus seiner Hosentasche und gab ihn dem Willi. Der Willi konnte mit dem Schraubenzieher nicht recht umgehen. Immer wieder rutschte der Schraubenzieher aus dem Schraubenschlitz. Der Mann plagte sich eine Stunde lang mit dem Willi und dem Wecker herum. Dann war der Wecker zerlegt. Der schwarze Hund grunzte zufrieden.

                  Plötzlich hörten sie die Mutter kommen. Der große Mann und der schwarze Hund krochen schnell unter Willis Bett. Willi saß allein mit dem zerlegten Wecker auf dem Fußboden, als die Mutter ins Zimmer kam.

                  Während die Mutter die Weckerräder und die Weckerschrauben aufsammelte, schimpfte sie wieder fürchterlich: "Willi, gleich wird dich der große Mann holen!", und: "Willi, gleich wird der schwarze Hund kommen und dich beißen!" Aber das machte dem Willi nicht aus, denn er wusste ja jetzt, wer die beiden waren.

                  Der große Mann und der schwarze Hund blieben beim Willi. Am Tag spielten sie mit Willi. In der Nacht schliefen sie beim Willi im Bett. Nur wenn die Mutter ins Zimmer kam, krochen sie geschwind unter das Bett.

                  Der große Mann hatte immer schöne Einfälle. Wenn der Willi den Hagebuttentee nicht trinken wollte, goss der große Mann mit dem Hagebuttentee den Gummibaum. In der Nacht, wenn der Willi von einem Geräusch erwachte und nicht mehr einschlafen konnte, erzählte der große Mann lustige Geschichten. Oder der große Mann bemalte die Mauer hinter Willis Bett mit lauter kleinen Männern. Oder der große Mann holte heimlich aus der Küche Salz und Kakao und Majoran und Mehl und Pfeffer und Essig und machte daraus mit dem Willi einen dicken Brei.

                  Der schwarze Hund tat nicht besonders viel. Er schlief meistens nur oder er grunzte zufrieden. Aber jeden Dienstag fraß er Willis Kohlsuppe. Wenn der Willi eine Stunde in der Küche vor dem Kohlsuppenteller gesessen und noch immer keinen Löffel davon gegessen hatte, trug die Mutter den Kohlsuppenteller immer ins Kinderzimmer und sagte: "Willi, hier bleibst du so lange, bis der Teller leer ist!"

                  Der schwarze Hund mochte Kohlsuppe sehr. Kaum war die Mutter aus dem Kinderzimmer verschwunden, schlabberte er den ganzen Teller leer.

                  Eines Tages saßen der Willi, der große Mann und der schwarze Hund im Kinderzimmer und dachten darüber nach, ob sie vielleicht Vaters Werkzeugkasten zum Spielen holen sollten. Sie dachten so angestrengt darüber nach, dass sie die Mutter nicht kommen hörten. 

                  Als die Zimmertür aufging, krochen der Mann und der Hund  schnell unters Bett. Doch sie waren nicht schnell genug. Die Mutter sah das Hinterteil des schwarzen Hundes gerade noch unter dem Bett verschwinden. Sie fragte: "Willi, was hast du da unter dem Bett?"

                  Der Willi sagte: "Den großen Mann und den schwarzen Hund habe ich unter dem Bett!"

                  "So ein Blödsinn", sagte die Mutter und bückte sich und schaute unter das Bett und blickte dem schwarzen Hund mitten in die wasserblauen Augen. Die Mutter stieß einen lauten Schrei aus und lief in die Küche und kam mit einem Besen bewaffnet zurück. Sie stocherte mit dem Besen unter dem Bett herum. Sie schrie: "Komm heraus, du Biest!"

                  Jetzt aber begann es unter dem Bett fürchterlich zu fauchen und zu zischen. Dann wackelte das ganze Bett und der große Mann und der schwarze Hund kamen hervor.

                  Der große Mann war aber jetzt nicht mehr einen halben Meter groß, sondern zwei Meter und ziemlich breit und seine Augen funkelten grün und sein Gesicht war krebsrot. Der schwarze Hund sah entsetzlich wild aus. Seine wenigen Locken standen borstensteif in die Höhe und sein Maul war voller spitzer, langer Zähne.

                  Die Mutter flüchtete in die Küche. Der Mann und der Hund liefen hinter ihr her. Die Mutter kroch unter den Küchentisch.

                  "Willi", bat sie, "Willi, sag dem großen Mann und dem schwarzen Hund, dass sie verschwinden und mir nichts tun sollen!"

                  Der Willi rief: "Großer Mann! Schwarzer Hund! Die Mutter fürchtet sich! Erschreckt sie nicht!"

                  Der große Mann brüllte: "Zuerst sagt die Mutter dauernd, dass wir kommen werden, und wenn wir dann da sind, heult sie! Da soll man die Welt noch verstehen!"

                  Der schwarze Hund bellte: "So eine Frechheit! Mich haben schon viele Mütter geholt! Aber mit dem Besen hat mich noch keine gestochen!"

                  "Großer Mann, schwarzer Hund", bat der Willi, "geht jetzt wieder in das Kinderzimmer, bitte!"

                  Da schrumpfte der große Mann auf einen halben Meter und der schwarze Hund verschluckte seine Vampirzähne wieder. Sie sahen wieder uralt und ziemlich schäbig aus, nickten dem Willi freundlich zu und trotteten ins Kinderzimmer.

                  Die Mutter kroch unter dem Küchentisch hervor.

                  "Ach, Willi", stöhnte sie, "Ach, Willi, nie mehr rede ich ein Wort vom großen Mann und vom schwarzen Hund!"

                  Der Willi nichte und sagte: "Das wird gut sein! Sonst erschreckst du dich wieder so!"

                  Großer Mann und schwarzer Hund - Christine Nöstlinger - Märchen


                  Autorin: Christine Nöstlinger

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                    Das Sonnengleichnis - Antike Philosophie

                    Das Sonnengleichnis – Antike Philosophie – Platon
                    Das Sonnengleichnis  

                    Das Sonnengleichnis – Antike PhilosophiePlaton 


                    Das Sonnengleichnis ist ein bekanntes Gleichnis der antiken Philosophie. Es stammt von dem griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.), der es im sechsten Buch seines Dialogs Politeia von seinem Lehrer Sokrates erzählen lässt.

                    Anschließend trägt Sokrates das Liniengleichnis vor, mit dem das sechste Buch endet. Am Anfang des siebten Buches folgt das Höhlengleichnis, das letzte der drei berühmten Gleichnisse in der Politeia. Alle drei Gleichnisse veranschaulichen Aussagen von Platons Ontologie und Erkenntnistheorie. 

                    In den drei Gleichnissen wird spezifisch platonisches Gedankengut vorgetragen. Der „platonische“ Sokrates, der hier als Sprecher auftritt und die Gleichnisse erzählt, ist eine literarisch gestaltete Figur. Seine Position kann daher nicht mit der des historischen Sokrates gleichgesetzt werden. 

                    Im Sonnengleichnis versucht der platonische Sokrates das Gute, statt es direkt zu definieren, gleichnishaft zu veranschaulichen. Er vergleicht es mit der Sonne: Wie im Bereich des Sichtbaren die Sonne als Quelle des Lichts die alles beherrschende Macht ist, so herrscht in der geistigen Welt das Gute als Quelle von Wahrheit und Wissen.


                    Platon 
                    Auszug aus: Der Staat (Politeia) 
                    Sonnengleichnis 
                    Sokrates zu Glaukon: 


                    Hast du denn nun auch, fragte ich, schon bemerkt, wie der Schöpfer der Sinne das Vermögen des Sehens und Gesehenwerdens viel edler geschaffen hat?

                    Nicht doch, antwortete er.

                    Nun, so gib einmal acht: Bedarf Gehör und Stimme irgend eines anderen Dinges dazu, damit das eine hört, die andere gehört wird, so dass in Ermangelung jenes Dritten das eine nicht hören, die andere nicht gehört werden könnte?

                    Nein, sagte er.

                    Und ich glaube es bis jetzt wenigstens, fuhr ich fort, dass auch die meisten anderen Sinne, um nicht zu sagen keiner, keines solchen Etwas bedürfen; oder kannst du eines angeben?

                    Ich wenigstens nicht, antwortete er.

                    Von dem Sinn des Gesichtes und der sichtbaren Welt siehst du aber ein, dass er eines solchen bedarf?

                    Wieso?

                    Wenngleich in Augen sich ein Sehvermögen befindet und der Besitzer es zu gebrauchen sucht, wenngleich andererseits auch eine Farbe vorliegt: so weißt du, dass, falls nicht ein eigens dafür geschaffenes drittes Etwas vorhanden ist, der Gesichtssinn nichts sieht und die Farben unsichtbar sind.

                    Nun, was verstehst du denn unter diesem “Etwas” da? fragte er.

                    Was du bekanntlich, sagte ich, Licht heißest.

                    Ja, richtig bemerkt, sprach er.

                    Nach keinem schlechten Vorbild also ist der Gesichtssinn und das Vermögen des Gesehenwerdens durch ein edleres Band verbunden als bei den übrigen Verbindungen, wofern das Licht nichts Unedles ist.

                    Nein, wahrlich, antwortete er, das ist es auf keinen Fall.

                    Welchen der himmlischen Götter kannst du nun als Urheber davon angeben, dessen Licht nämlich erstlich uns den Gesichtssinn ganz klar sehen macht und zweitens auch die sichtbaren Gegenstände sehen lässt?

                    Keinen anderen, erwiderte er, als den du sowohl wie die übrige Welt dafür ansiehst: denn nach dem Sonnengott fragst du offenbar.

                    Ist nun das naturgemäße Verhältnis des Gesichtes zu dem Sonnengotte folgendes?

                    Welches?

                    Nicht ein Sonnengott ist der Gesichtssinn, weder er selbst noch das Ding, worin er sich befindet, was wir bekanntlich Auge nennen.

                    Ja, freilich nicht.

                    Aber am sonnenartigsten ist er doch wohl unter allen Sinneswerkzeugen.

                    Ja, das allerdings.

                    Und nicht wahr, das Vermögen, welches er besitzt, erhält er von dorther wie durch einen Kanal gespendet?

                    Jawohl.

                    Nicht wahr, auch der Sonnengott ist kein Gesichtssinn, wohl aber die Ursache davon und wird von eben diesem gesehen?

                    Ja, sagte er.

                    Unter dieser Sonne also, fuhr ich fort, denke dir, verstehe ich die Kopie des Guten, die von dem eigentlichen wesenhaften Gut als ein ihm entsprechendes Ebenbild hervorgebracht worden ist: was das eigentliche Gute in der durch Vernunft erkennbaren Welt in Bezug auf Vernunft und auf die durch Vernunft erkennbaren Gegenstände ist, das ist diese seine Kopie in der sinnlich sichtbaren Welt in Bezug auf Gesicht und sichtbare Gegenstände.

                    Wie? sprach er: Erkläre mir es noch!

                    Wenn man die Augen, entgegnete ich, nicht mehr auf jene Gegenstände richtet, auf deren Oberfläche das helle Tageslicht scheint, sondern auf jene Dinge, worauf nur ein nächtliches Geflimmer fällt, so sind sie, weißt du, blöde und scheinen beinahe blind, als wäre ein helles Sehvermögen in ihnen nicht vorhanden.

                    Ja, sicher, sprach er.

                    Wenn man sie aber darauf richtet, worauf die Sonne scheint, so sehen sie, meine ich, dann ganz deutlich, und in eben denselben Augen scheint dann wieder ein Sehvermögen sich zu befinden.

                    Freilich.

                    Dasselbe Verhältnis denke dir nun auch so in Bezug auf die Seele: Wenn sie darauf ihren Blick heftet, was das ewig wahre und wesenhafte Sein bescheint, so vernimmt und erkennt sie es gründlich und scheint Vernunft zu haben; richtet sie ihn aber auf das mit Finsternis gemischte Gebiet, auf das Reich des Werdens und Vergehens, so meint sie dann nur, ist blödsichtig, indem sie sich ewig im niederen Kreis der Meinungen auf und ab bewegt, und gleicht nun einem vernunftlosen Geschöpf.

                    Ja, dem gleicht sie dann freilich.

                    Was den erkannt werdenden Objekten Wahrheit verleiht und dem erkennenden Subjekt das Vermögen des Erkennens gibt, das begreife also als die Wesenheit des eigentlichen (höchsten) Guten und denke davon: Das eigentliche Gute ist zwar die Ursache von reiner Vernunfterkenntnis und Wahrheit, sofern sie erkannt wird; aber obgleich beide (Erkenntnis und erkannt werdende Wahrheit) also etwas Herrliches sind, so musst du unter ihm selbst noch etwas weit Herrlicheres vorstellen, wenn du davon eine ordentliche Vorstellung haben willst.

                    Ferner, wie es vorhin in unserem Bild seine Richtigkeit hatte, Licht und Gesichtssinn für sonnenartig zu halten, sie aber als Sonne sich vorzustellen nicht richtig ist, so ist es auch hier recht, jene beiden, reine Vernunfterkenntnis und Wahrheit, für gutartig zu halten, aber sie, welche von beiden es auch sei, als das eigentliche höchste Gut sich vorzustellen, unrichtig; nein, das Wesen des eigentlichen Guten ist weit höher zu schätzen.

                    Schwer zu raten, sagte er, ist die Herrlichkeit, von der du da sprichst, wenn sie erstlich die Quelle von reiner Erkenntnis und Wahrheit ist und dann noch über diesen beiden an Herrlichkeit stehen soll; denn ein Sokrates kann, versteht sich, nicht Sinnenlust unter jenem höchsten Gut verstehen.

                    Versündige dich nicht! sprach ich. Nur noch weiter das Bild von jenem höchsten Gut von dieser Seite betrachtet!

                    Von welcher?

                    Du wirst wohl einräumen, glaube ich, dass die Sonne den sinnlich sichtbaren Gegenständen nicht nur das Vermögen des Gesehenwerdens verleiht, sondern auch Werden, Wachsen und Nahrung, ohne dass sie selbst ein Werden ist?

                    Das ist sie nicht!

                    Und so räume denn auch nun ein, dass den durch die Vernunft erkennbaren Dingen von dem eigentlichen Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern dass ihnen dazu noch von jenem das Sein und die Wirklichkeit kommt, ohne dass das höchste Gut Wirklichkeit ist: es ragt vielmehr über die Wirklichkeit an Hoheit und Macht hinaus.

                    Da rief Glaukon mit einem feinen Wortwitz aus: Oh Gott Apollon, welch übernatürliches Übertreffen!

                    Daran, erwiderte ich, ist niemand anders als du schuld durch die Nötigung, nur meine subjektiven Meinungen über jenes höchste Gut zu äußern.

                    Und höre ja nicht auf, sprach er, das Gleichnis in Bezug auf die Sonne weiter zu verfolgen, wenn du noch etwas rückständig hast!

                    Ja, sprach ich, noch gar mancherlei habe ich rückständig.

                    Und übergehe davon, sprach er, doch nicht das geringste!

                    Ich glaube zwar, entgegnete ich, gar vieles ist zu übergehen; indessen, soweit es gegenwärtig in meinen Kräften steht, will ich nichts mit Willen auslassen.

                    Ja nicht! sagte er.

                    Das Sonnengleichnis – Philosoph Platon - Antike Philosophie - Gleichnis 

                    Autor: Platon

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                      Das Sonnengleichnis ist ein bekanntes Gleichnis der antiken Philosophie. Es stammt vom griechischen Philosophen Platon (428/427–348/347 v. Chr.)