Februar 2020 | AVENTIN Blog --

Blaugraue Nacht - Wolfgang Borchert

Blaugraue Nacht – Wolfgang Borchert – Der Regen ist ein Engel
Blaugraue Nacht 

Blaugraue Nacht – Wolfgang Borchert – Der Regen ist ein Engel 


Es ist nicht wahr, dass die Nacht alles grau macht. Es ist ein unbeschreibliches, unnachahmliches Blaugrau – das Grau für die Katzen und das Blau für die Frauen – das die Nacht so schwer und so süß ausatmet und das so berauscht, wenn es uns zwischen halb zehn Uhr abends und viertel nach vier morgens anweht.

Sanfter als der Augenaufschlag eines Babys weht uns das Blaugrau an und es weht uns um, wenn wir ein blindes hellhöriges Herz haben. Nachts ist unser Herz blind und hellhörig und dann vernimmt es den Atem der Nacht, den blumenblauen, mausgrauen Atem, der uns, die wir ein hellhöriges Herz haben, immer anweht und umwehen wird wo wir auch sind:

Riechst du das tolle betäubende Blau der Nacht du in Manhattan und du in Odessa? Riechst du das geborgen machende Grau, das die Katzen in Rotterdam und Frisco so sinnlich sehnsüchtig singen macht?

Riechst du das Graublau der verführenden Nacht, das alkoholige, sternentauige, das die verdorbensten der Marseiller Mädchen zu Madonnen macht, wenn es sich unter ihren Lidern, in ihren Locken und auf ihren Lippen verfängt?

Riechst du das nebelige, flussdunstige Blaugrau, das uns das Gestern erhüllt und das Morgen versteckt? Riechst du das, du in Altona und du in Bombay? Riechst du die Nacht und berauscht sie dich nicht? Sie berauscht dich nicht?

Reiß dir dein Herz aus, tue es und wirf es der Nacht in den süßen sinnlichen Schoß! Ihr Atem ist sanfter als der Wimpernschlag eines Mädchens und dein Herz wird aufblühen wie unter unbegreiflichem Zauber.

Die jungen Menschen, die noch nichts wissen, die alles dunkel erst ahnen und kaum beginnen, sie quälen sich nicht. Sie gehen durch die nachtvollen, durch die nachtübervollen Straßen – ziellos, wortlos, zeitlos. Vielleicht gehen sie nur zwei oder drei Stunden nebeneinander, nah nebeneinander, vielleicht gehen sie so – nah, ganz nah –, bis es anfängt, hell zu werden.

Manchmal versucht einer von ihnen ein kleines belangloses Wort, manchmal antwortet eine(r), ängstlich vor zu viel Nähe. Ach, nicht zu viel, vor so viel Nähe! Kann sein, sie kommen immer wieder dieselben Straßen gegangen und über dieselben verödeten, verhexten Plätze, die jetzt alle viel mehr da sind, weil der Tag ihnen das Gesicht nimmt.

Kann sein, sie verlaufen sich an die Peripherie des Steintieres Stadt, wo Gärten, Alleen und Parks feierlich übertaut und sonntäglich ungewohnt sind. Sie haben sich an die Peripherie der unendlichen Steinwüste (ach, von wegen Wüste!) geträumt und nun stehen sie mit erschrockenen Ohren und nassen Schuhsohlen: Oh Gott, was ist das?

Frösche. Frösche? Quaken die immer so laut? Sie singen, Lisa, sie sind verliebt. Dann singen sie so laut.
Na, Mensch, singen?
Lass sie man – ich finde das ganz nett.
Nett, ja – aber singen?
Ich glaube, sie lachen. Du, die lachen über uns!
Wieso? Über uns?

Weil es schon seit ein paar Minuten regnet – und weil wir mitten im Regen stehen und weil wir es nicht gemerkt haben. Sommerregen ist nützlich. Er macht größer, wenn man keine Mütze auf hat. Willst du größer werden?
Ich bin doch auch nicht größer. Damit ich größer bin als du, Lisa? Musst du denn größer sein als ich, du? — Ich weiß nicht. Ich finde…

Komme mir keiner und sage, dass er den Regen nicht liebe. Ohne ihn würde die Sonne uns alle ermorden. Nein, komme mir keiner – wir haben allen Grund, ihn zu lieben! Gibt es einen schöneren Gesang als einen nächtlichen Regen?

Ist irgend etwas so heimlich und so selbstverständlich, so geheimnisvoll und schwatzhaft wie der Regen in der Nacht? Haben wir Menschen so abgestumpfte Ohren, dass wir nur noch auf Strassenbahnklingeln, Kanonendonner oder Konzerte reagieren?

Vernehmen wir nicht mehr die Symphonien der tausend Tropfen, die bei Nacht auf das Pflaster plauschen und rauschen, lüstern gegen Fenster und Dachziegel flüstern, die den Millionen Mücken Märchen auf die Blätter, unter denen sie sich verkrochen haben, leise dommeln und trommeln, uns durch die dünnen Sommerkleider auf die Schultern tropfen und klopfen oder mit winzigen Gongschlägen in den Strom glucksen? Vernehmen wir nichts mehr anderes als unser eigenes lautes Getue?

Aber den halb erwachten Kindern erzählt der Regen noch immer Geschichten in der Nacht. Für die Kinder lacht und weint er nachts gegen die Scheiben – gegen ihre kleinen rosigen Ohren. Und er tröstet sie wieder in ihr Traumland zurück.

Jauchzen nur noch die Kinder über Pfützen und überschwemmte Rinnsteine? Lachen nur noch die Kinder über die dicken, dicken Tropfen, die auf der Nase zerplatzen? Liegen nur noch die Kinder andächtig ängstlich wach, wenn der Regen draußen die selbstverständlichsten Geheimnisse der Welt austratscht? Macht der Regen nur noch Kinderaugen still und groß und blank?

Dann wollen wir die dumme abgetragene, aufgeblasene Würde des Erwachsenseins wie eine vermottete Wolljacke ausziehen und auf einen großen Haufen werfen und verbrennen – und uns den himmlischen Regen, den Sohn der See und der Sonne, durch die Locken ins Hemd laufen lassen. Komme keiner und sage, das wäre keinen Schnupfen wert!

Der Gemüsemann unten schimpft keinen Augenblick, als die erste Legion Tropfen in geschlossener Formation die Kellertreppe abwärts strömt und ihn aus dem Schlaf plätschert. Er knufft seine Frau in die gepolsterten Rippen, bis sie die Augen aufmacht, und dann schleppen sie beide ohne zu mucken die schweren, vollen Gemüse– und Obstkisten aus dem Laden raus in den engen Hinterhof. An dem langen heißen Tag war alles welk und traurig geworden. Bis morgen früh würde der Nachtregen eine gute Dusche sein für den staubigen Inhalt der Kisten.

Der Regen klatscht noch ein paar Stunden mit unzähligen nassen Lappen gegen die Hauswand und in den Hof – die Gemüseleute sind längst wieder eingeschlafen. Ihre breiten apfeligen Gesichter sehen beinahe ebenso zufrieden aus den Kissen wie der alte Unterrock, den die Frau unter die Treppe gelegt hat. Behaglich, wollüstig, selig liegt er in den Legionen herunterkleckernder Tropfen, die die tollsten Dinge von draußen wissen – so begierig ist der blaue Wollunterrock auf die wahren Begebenheiten der unwahren Welt, dass er den Regen aufsaugt, bis er sich tot gelogen hat.

Am Morgen wird die Treppe trocken sein – aber der alte Rock wird dick und geschwollen sein wie eine große, große Kröte!

Und in einem Hauseingang: Ich finde es schick, dass wir jetzt so eine gute Ausrede haben. Bei dem Regen konnten wir unmöglich pünktlich nach Hause kommen. Ich finde es prachtvoll – du auch?

Wo du bist, ist es immer schick! Aber du frierst – soll ich dir meine Jacke geben? Natürlich, damit du morgen krank bist. Komm, leg sie uns beiden über, dann können wir uns gegenseitig wärmen.

Die Frösche singen immer noch, hörst du? Meinst du, der Regen hat ihre Liebe noch nicht abgekühlt? Meinst du, der Regen kann Liebe abkühlen? Och, ich weiß ja nicht, wie ehrlich die Frösche es mit ihrem Gesang meinen. Ausdauer haben sie jedenfalls. Meine Liebe könnten keine zehn Wolkenbrüche abkühlen, im Gegenteil!

Aha. Wen liebst du denn so innig, hm? Ob, jemanden, der mit aufgeweichten Locken und nassen Füßen unter meiner Jacke zittert. Du, wir wollen lieber nicht davon reden, jetzt nicht, ja? Hier ist es so dunkel und so einsam und wir stehen so dicht zusammen – genügt das nicht? Lass uns still sein, bitte. Das ist doch auch viel schöner, nicht, du?

Es regnet, es ist dunkel und einsam und wir stehen dicht zusammen – ja, klar – das ist schön!

Nach siebenundzwanzig Minuten:
Du, der Regen ist ein Engel! Meine Mutter hatte mächtig getobt, wenn sie gemerkt hatte, dass ich mich angemalt habe. Eben siebzehn Jahre geworden und anhübschen wie eine – wie so eine, weisst du, das sagt die Mutter. Jetzt hat der Regen alles abgeleckt und ich brauche mein Taschentuch nicht dreckig zu machen. Ist der Regen nicht ein Engel?

Nach elf Minuten:
Willst du noch nach Hause, Lisa? Nee. Du? Mensch, wenn das einer hören würde: Wir wollen beide nicht mehr nach Hause! Ja, du, der Regen ist ein Engel!

Blaugraue NachtWolfgang Borchert – Der Regen ist ein Engel - Novelle

Autor*in: Wolfgang Borchert

Bewertung des Redakteurs:

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    Es ist nicht wahr, dass die Nacht alles grau macht. Es ist ein unbeschreibliches, unnachahmliches Blaugrau – das Grau für die Katzen und das Blau für die Frauen – das die Nacht so schwer und so süß ausatmet und das so berauscht, wenn es uns zwischen halb zehn Uhr abends und viertel nach vier morgens anweht.

    Woran wir öfters denken sollten

     
    Woran wir öfters denken sollten – Arthur Schopenhauer
    Woran wir öfters denken sollten 

    Woran wir öfters denken sollten - Arthur Schopenhauer  


    Wir denken selten an das,

    was wir haben,

    nur immer an das,

    was uns fehlt.

    Arthur Schopenhauer


    Arthur Schopenhauer (* 22. Februar 1788 – † 21. September 1860) war einer der einflussreichsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts.

    Geboren am 22.2.1788 in Danzig; gestorben am 21.9.1860 in Frankfurt/Main.

    Schopenhauer entstammte einer patrizischen Kaufmannsfamilie. Seine ungeliebte Kaufmannslehre in Hamburg brach er nach dem Tod des Vaters (1805) ab und übersiedelte zur Mutter nach Weimar, wo diese einen literarischen Salon führte und bald zur berühmten Schriftstellerin avancierte.

    Ab 1809 studierte Schopenhauer in Göttingen Naturwissenschaften, ab 1811 in Berlin Philosophie. Nach seiner Dissertation 1813, einer kurzen Zusammenarbeit mit Goethe über die Farbenlehre und dem Zerwürfnis mit Mutter und Schwester zog er nach Dresden.

    Im Anschluss einer Italienreise im Jahr 1820 versuchte Schopenhauer eine Lehrtätigkeit an der Berliner Universität zu bekommen, was allerdings an mangelndem Interesse scheiterte.

    Ab dem Jahr 1831 lebte Arthur Schopenhauer zurückgezogen in Frankfurt/M. als Privatgelehrter und Junggeselle.

    Woran wir öfters denken sollten - Arthur Schopenhauer - Zitat - Philosoph

    Autor*in: Arthur Schopenhauer

    Bewertung des Redakteurs:

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      Arthur Schopenhauer (* 22. Februar 1788 – † 21. September 1860) war einer der einflussreichsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Geboren am 22.2.1788 in Danzig; gestorben am 21.9.1860 in Frankfurt/Main. Schopenhauer entstammte einer patrizischen Kaufmannsfamilie.

      Kleine Weisheiten - 10 - Zitate

      Kleine Weisheiten - 10 - Sprüche und Zitate aus der ganzen Welt
      Kleine Weisheiten 

      Kleine Weisheiten - 10 - Sprüche und Zitate aus der ganzen Welt 


      Je dunkler die Wirklichkeit, desto heller der Traum.

      Und die See gibt ihnen neue Hoffnung, wie die Nacht ihnen neue Träume bringt.

      Steh immer wie ein fester Turm, dem nimmermehr die Spitze schwankt in sturmbewegten Tagen.

      Wann immer einer die Wege zum Ziel bejaht, bejaht er zugleich auch das Ziel selbst.

      Binde deine Wünsche an einen Stern, und sie werden Wirklichkeit werden.

      Kleine Weisheiten - 10 - Sprüche und Zitate aus der ganzen Welt


      Autor*in: Diverse

      Bewertung des Redakteurs:

      URL: https://aventin.blogspot.com/2020/02/kleine-weisheiten-10.html

        Binde deine Wünsche an einen Stern, und sie werden Wirklichkeit werden. - Leonardo da Vinci -

        Ein Abend bei Kamala - Siddhartha

        Ein Abend bei Kamala – Hermann Hesse – Siddhartha
        Ein Abend bei Kamala  

        Ein Abend bei Kamala – Hermann Hesse – Siddhartha 


        Er war die Abendstunden bei Kamala gewesen, in ihrem schönen Lustgarten. Sie waren unter den Bäumen gesessen, im Gespräch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich Trauer und Müdigkeit verbarg.

        Von Gotama hatte sie ihn gebeten zu erzählen, und konnte nicht genug von ihm hören, wie rein sein Auge, wie still und schön sein Mund, wie gütig sein Lächeln und wie friedvoll sein Gang gewesen sei.

        Lange hatte er ihr vom erhabenen Buddha erzählen müssen, und Kamala hatte geseufzt, und hatte gesagt: »Einst, vielleicht bald, werde auch ich diesem Buddha folgen. Ich werde ihm meinen Lustgarten schenken, und werde meine Zuflucht zu seiner Lehre nehmen.«

        Darauf aber hatte sie ihn gereizt und ihn im Liebesspiel mit schmerzlicher Inbrunst an sich gefesselt, unter Bissen und unter Tränen, als wolle sie noch einmal aus dieser eitlen, vergänglichen Lust den letzten süßen Tropfen pressen. Nie war es Siddhartha so seltsam klar geworden, wie nahe die Wollust dem Tod verwandt ist.

        Dann war er an ihrer Seite gelegen, und Kamalas Antlitz war ihm nahe gewesen, und unter ihren Augen und neben ihren Mundwinkeln hatte er, deutlich wie noch niemals zuvor, eine bange Schrift gelesen, eine Schrift von feinen Linien, von leisen Furchen, eine Schrift, die an den Herbst und an das Alter erinnerte, wie denn auch Siddhartha selbst, der erst in den Vierzigern stand, schon hier und dort ergraute Haare zwischen seinen schwarzen bemerkt hatte.

        Müdigkeit stand auf Kamalas schönem Gesicht geschrieben, Müdigkeit und beginnende Welke, und verheimlichte, noch nicht gesagte, vielleicht noch nicht einmal gewusste Bangigkeit: Furcht vor dem Alter, Furcht vor dem Herbst, Furcht vor dem Sterbenmüssen. Seufzend hatte er von ihr Abschied genommen, die Seele voll Unlust und voll verheimlichter Bangigkeit.

        Dann hatte Siddhartha die Nacht in seinem Haus mit Tänzerinnen beim Wein zugebracht, hatte gegen seine Standesgenossen den Überlegenen gespielt, welcher er nicht mehr war, hatte viel Wein getrunken und spät nach Mitternacht sein Lager aufgesucht, müde und dennoch erregt, dem Weinen und der Verzweiflung nahe.

        Lange hatte er vergeblich den Schlaf gesucht, das Herz voll eines Elends, das er nicht mehr ertragen zu können meinte, voll eines Ekels, von dem er sich durchdrungen fühlte wie vom lauen, widerlichen Geschmack des Weines, der allzu süßen, öden Musik, dem allzu weichen Lächeln der Tänzerinnen, dem allzu süßen Duft ihrer Haare und Brüste.

        Mehr aber als vor allem anderen ekelte ihm vor sich selbst, vor seinen duftenden Haaren, vor dem Weingeruch seines Mundes, vor der schlaffen Müdigkeit und Unlust seiner Haut.

        Wie wenn einer, der allzuviel gegessen oder getrunken hat, es unter Qualen wieder erbricht und doch der Erleichterung froh ist, so wünschte sich der Schlaflose, in einem ungeheuren Schwall von Ekel sich dieser Genüsse, dieser Gewohnheiten, dieses ganzen sinnlosen Lebens und seiner selbst zu entledigen.

        Erst beim Schein des Morgens und dem Erwachen der ersten Geschäftigkeit auf der Straße vor seinem Stadthaus war er eingeschlummert, hatte für wenige Augenblicke eine halbe Betäubung und eine Ahnung von Schlaf gefunden. In diesen Augenblicken hatte er einen Traum: Kamala besaß in einem goldenen Käfig einen kleinen seltenen Singvogel. Von diesem Vogel träumte er.

        Er träumte: dieser Vogel war stumm geworden, der sonst stets in der Morgenstunde sang, und da dies ihm auffiel, trat er vor den Käfig und blickte hinein, da war der kleine Vogel tot und lag steif am Boden. Er nahm ihn heraus, wog ihn einen Augenblick in der Hand und warf ihn dann weg, auf die Gasse hinaus, und im gleichen Augenblick erschrak er furchtbar, und das Herz tat ihm weh, so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen.

        Aus diesem Traum auffahrend, fühlte er sich von tiefer Traurigkeit umfangen. Wertlos, so schien ihm, wertlos und sinnlos hatte er sein Leben bisher geführt; nichts Lebendiges, nichts irgendwie Köstliches oder Behaltenswertes war ihm in Händen geblieben. Allein stand er und leer, wie ein Schiffbrüchiger am Ufer.

        Finster begab sich Siddhartha in einen Lustgarten, der ihm gehörte, verschloss die Pforte, setzte sich unter einem Mangobaum nieder, fühlte den Tod im Herzen und das Grauen in der Brust, saß und spürte, wie es in ihm starb, in ihm welkte und in ihm zu Ende ging.

        Allmählich sammelte er seine Gedanken und ging im Geist nochmals den ganzen Weg seines Lebens, von den ersten Tagen an, auf welche er sich besinnen konnte. Wann denn hatte er ein Glück erlebt, eine wahre Wonne gefühlt? Oh ja, mehrer Male hatte er solches erlebt.

        In den Knabenjahren hatte er es gekostet, wenn er von den Brahmanen Lob errungen hatte, wenn er, den Altersgenossen weit voraus, sich mit dem Hersagen der heiligen Verse, im Disput mit den Gelehrten, als Gehilfe beim Opfer ausgezeichnet hatte. Da hatte er es in seinem Herzen gefühlt: »Ein Weg liegt vor dir, zu dem du berufen bist, auf dich warten die Götter.«

        Und wieder als Jüngling, da ihn das immer höher empor fliehende Ziel alles Nachdenkens aus der Schar Gleichstrebender heraus- und hinan gerissen hatte, da er in Schmerzen um den Sinn des Brahman rang, da jedes erreichte Wissen nur neuen Durst in ihm entfachte, da wieder hatte er, mitten im Durst, mitten im Schmerz, dieses selbe gefühlt: »Weiter! Weiter! Du bist berufen!«

        Diese Stimme hatte er vernommen, als er seine Heimat verlassen und das Leben des Samana gewählt hatte, und wieder, als er von den Samanas hinweg zu jenem Vollendeten, und auch von ihm hinweg ins Ungewisse gegangen war. Wie lange hatte er diese Stimme nicht mehr gehört, wie lange keine Höhe mehr erreicht, wie eben und öde war sein Weg dahin gegangen, viele lange Jahre, ohne hohes Ziel, ohne Durst, ohne Erhebung, mit kleinen Lüsten zufrieden und dennoch nie begnügt!

        Alle diese Jahre hatte er, ohne es selbst zu wissen, sich bemüht und danach gesehnt, ein Mensch wie diese vielen zu werden, wie diese Kinder, und dabei war sein Leben viel elender und ärmer gewesen als das ihre, denn ihre Ziele waren nicht die seinen, noch ihre Sorgen, diese ganze Welt des Kamaswami-Menschen war ihm ja nur ein Spiel gewesen, ein Tanz, dem man zusieht, eine Komödie.

        Einzig Kamala war ihm lieb, war ihm wertvoll gewesen – – aber war sie es noch? Brauchte er sie noch, oder sie ihn? Spielten sie nicht ein Spiel ohne Ende? War es notwendig, dafür zu leben?

        Nein, es war nicht notwendig! Diese Spiel hieß Sansara, ein Spiel für Kinder, ein Spiel, vielleicht hold zu spielen, einmal, zweimal, zehnmal – – aber immer und immer wieder?

        Da wusste Siddhartha, dass das Spiel zu Ende war und dass er es nicht mehr spielen könne. Ein Schauder lief ihm über den Leib, in seinem Innern, so fühlte er, war etwas gestorben.

        Jenen ganzen Tag saß er unter dem Mangobaum, seines Vaters gedenkend, Govindas gedenkend, Gotamas gedenkend. Hatte er diese verlassen müssen, um ein Kamaswami zu werden? Er saß noch, als die Nacht angebrochen war. Als er aufschauend die Sterne erblickte, dachte er: »Hier sitze ich unter meinem Mangobaum, in meinem Lustgarten.« Er lächelte ein wenig – – war es denn notwendig, war es richtig, war es nicht ein törichtes Spiel, dass er einen Mangobaum, dass er einen Garten besaß?

        Auch damit schloss er ab, auch das starb in ihm. Er erhob sich, nahm Abschied vom Mangobaum, Abschied vom Lustgarten. Da er den Tag ohne Speise geblieben war, fühlte er heftigen Hunger und er dachte an sein Haus in der Stadt, an sein Gemacht und Bett und an den Tisch mit den Speisen. Er lächelte müde, schüttelte sich und nahm Abschied von all diesen Dingen.

        In derselben Nachtstunde verließ Siddhartha seinen Garten, verließ die Stadt und kam niemals wieder zurück. Lange ließ Kamaswami nach ihm suchen, der ihn in Räuberhand gefallen glaubte.

        Kamala ließ nicht nach ihm suchen. Als sie erfuhr, dass Siddhartha verschwunden sei, wunderte sie sich nicht. Hatte sie es nicht immer erwartet? War er nicht ein Samana, ein Heimloser, ein Pilger? Und am meisten hatte sie dies beim letzten Zusammensein gefühlt, und sie freute sich mitten im Schmerz des Verlustes, dass sie ihn dieses letzte Mal noch so innig an ihr Herz gezogen, sich noch einmal so ganz von ihm besessen und durchdrungen gefühlt hatte.

        Als Kamala die erste Nachricht von Siddharthas Verschwinden bekam, trat sie ans Fenster, wo sie in einem goldenen Käfig einen seltenen Singvogel gefangen hielt. Sie öffnete die Tür des Käfigs, nahm den Vogel heraus und ließ ihn fliegen. Lange sah sie ihm nach, dem fliegenden Vogel. Sie empfing von diesem Tag an keine Besucher mehr und hielt ihr Haus verschlossen.

        Nach einiger Zeit aber wurde sie inne, dass sie von dem letzten Zusammensein mit Siddhartha schwanger geworden war.

        Ein Abend bei Kamala – Hermann Hesse – Siddhartha - Novelle

        Autor*in: Hermann Hesse

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          Er war die Abendstunden bei Kamala gewesen, in ihrem schönen Lustgarten. Sie waren unter den Bäumen gesessen, im Gespräch, und Kamala hatte nachdenkliche Worte gesagt, Worte, hinter welchen sich Trauer und Müdigkeit verbarg.

          Coronavirus COVID-19 Status

          Coronavirus COVID-19 - Status - Pandemie
          Coronavirus COVID-19 Status
           

          Coronavirus COVID-19 - Status - Pandemie


          COVID-19 Status


          Corona-Virus-Karte


          J. Hopkins Uni


          COVID-19 (Abk. für englisch coronavirus disease 2019, deutsch: Coronavirus-Krankheit-2019, umgangssprachlich auch Corona genannt) ist eine Infektionskrankheit, zu der es infolge einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 kommen kann. Die primär die Atemwege befallende Erkrankung wurde erstmals Ende des Jahres 2019 in Wuhan beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich weltweit zur COVID-19-Pandemie aus. Vieles deutet darauf hin, dass die Ausbreitung durch Superspreading erfolgt. (Wikipedia)

          Coronavirus COVID-19 - Status - Pandemie - Wissen


          Autor*in: Wikipedia

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            COVID-19 (Abk. für englisch coronavirus disease 2019, deutsch: Coronavirus-Krankheit-2019, umgangssprachlich auch Corona genannt) ist eine Infektionskrankheit, zu der es infolge einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 kommen kann. Die primär die Atemwege befallende Erkrankung wurde erstmals Ende des Jahres 2019 in Wuhan beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich weltweit zur COVID-19-Pandemie aus. Vieles deutet darauf hin, dass die Ausbreitung durch Superspreading erfolgt.

            Es lebe die Freiheit - Geschwister Scholl

            Es lebe die Freiheit – Geschwister Scholl – Widerstand – 22. Februar
            Es lebe die Freiheit  

            Es lebe die Freiheit – Geschwister Scholl – Widerstand – 22. Februar 


            Am 22. Februar 1943, wurden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst in München von den NationalSozialisten hingerichtet. Ihr Widerstand gegen die Diktatur kostete sie das Leben.

            Die „Weiße Rose“ war eine studentische Widerstandsgruppe gegen den NationalSozialismus. Neben der damals 21-jährigen Sophie Scholl und ihrem 3 Jahre älteren Bruder Hans gehörten auch Christoph Probst, Kurt Huber, Alexander Schmorell und Willi Graf der Gruppe an.

            Gemeinsam verfassten, druckten und verteilten sie trotz höchster Lebensgefahr Flugblätter, die an die Verantwortung eines jeden Einzelnen für Freiheit und Gerechtigkeit appellierten. Die Bevölkerung sollte aufgerüttelt und von ihrer moralischen Pflicht zum Widerstand gegen das NS-Regime überzeugt werden.

            Am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl beim Auslegen eines Flugblatts in der Universität München von der Gestapo verhaftet. Die Geschwister konnten nicht verhindern, dass einen Tag später auch Christoph Probst festgenommen wurde.

            Während des Verhörs leugneten die Geschwister Scholl ihre Taten nicht, sondern bekräftigten laut Protokoll mehrmals, dass sie aus voller Überzeugung gehandelt hätten. Am Ende jedoch mussten sie ihre Einstellung und Überzeugung mit dem Leben bezahlen. Sie kämpften für die Freiheit bis in den Tod.

            Vier Tage später, am 22. Februar 1943, verurteilte man Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zum Tode. Sie wurden umgehend hingerichtet.

            „So ein herrlicher Tag, und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es schaffen, Tausende von Menschen aufzurütteln und wachzurütteln.“ Das waren die letzten Worte von Sophie Scholl, ehe sie gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und Christoph Probst durch die Guillotine starb.

            „Ihr werdet in die Geschichte eingehen“, sagte der Vater, während er seine Kinder Hans und Sophie ein letztes Mal in den Arm nahm. „Das wird Wellen schlagen“, antwortete Sophie. Dann ging sie als Erste. Ihr folgte Hans Scholl. „Es lebe die Freiheit!“, waren seine letzten Worte.

            Es lebe die Freiheit – Geschwister Scholl – Widerstand – Weiße Rose - Wissen

            Autor*in: N. N.

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              Am 22. Februar 1943, wurden Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst in München von den NationalSozialisten hingerichtet. Ihr Widerstand gegen die Diktatur kostete sie das Leben. Die „Weiße Rose“ war eine studentische Widerstandsgruppe gegen den NationalSozialismus.

              Falsches Spiel - Wolf Biermann

              Falsches Spiel – Wolf Biermann – Gesellschaft und Politik
              Falsches Spiel  

              Falsches Spiel – Wolf Biermann – Gesellschaft & Politik  

              Du, mein Freund, dir kann ich sagen
              Ich bin müde, hundemüde
              Müde bin ich all die Tage
              Die mich hart und härter machten
              Ach, mein Herz ist krank von all der
              Politik und all dem Schlachten

              Sag, wann haben diese Leiden
              diese Leiden, diese Leiden
              endlich mal ein Ende?
              Wenn die neuen Leiden kommen
              haben sie ein Ende!

              Meine Liebe, meine Schöne
              Du mit deinen warmen Armen
              Hieltest du mich all die Nächte
              Die nur kältere Kälten brachten
              Ach, mein Herz ist krank von all der
              Politik und all dem Schlachten

              Sag, wann haben diese Leiden
              diese Leiden, diese Leiden
              endlich mal ein Ende?
              Wenn die neuen Leiden kommen
              haben sie ein Ende!

              Hass & Hetze – Wolf Biermann – Gesellschaft & Politik


              P.S.
              Grundrecht – Grundgesetz – Anstand – Hate Speech – Toleranz – Bewertung – Vorurteil – Abwertung – Meinungsfreiheit – Verleumdung – Beleidigung – Bedrohung – psychische Gewalt – Hass – Hetze – Medienkompetenz – Politikkompetenz – Bewertung – Verantwortung – Freiheit – Ideologie – Charakter – Sadismus – Zerstörung – Ethik – Moral – Werte – Falschheit – Spiel …

              Autor*in: Wolf Biermann

              Bewertung des Redakteurs:

              URL: https://aventin.blogspot.com/2020/02/falsches-spiel-wolf-biermann.html

                Du, mein Freund, dir kann ich sagen Ich bin müde, hundemüde müde bin ich all die Tage die mich hart und härter machten. Ach, mein Herz ist krank von all der Politik und all dem Schlachten. Sag, wann haben diese Leiden diese Leiden, diese Leiden endlich mal ein Ende? Wenn die neuen Leiden kommen haben sie ein Ende!

                Subjektiver und Objektiver Typus Mensch

                Subjektiver und objektiver Typus Mensch – R.M.F – Alltagspsychologie
                Subjektiver und objektiver Typus 

                Subjektiver und objektiver Typus Mensch – R.M.F – Alltagspsychologie


                Wir bedienen uns der früher gefundenen Grundfunktionen der Seele, um nach ihrem Hervor- und Zurücktreten, ihrem Zusammenwirken oder Gegenspiel die Verschiedenheiten der Menschen zu deuten.

                Es ist dabei keineswegs gesagt, dass die tiefsten und entscheidensten Unterschiede auch die augenfälligsten sind. Im Gegenteil, man muss lernen, durch die Oberfläche hindurch in die Tiefe zu sehen.

                Der vielleicht bedeutsamste Unterschied für den Charakter ist keineswegs leicht zu erkennen: das Gradverhältnis des Ichbewusstseins (Gefühls- und Triebsleben) zum Außenweltsbewusstsein (Wahrnehumgs- und Verstandesleben).

                Schon die alltägliche Beobachtung unterscheidet ein subjektives Verhalten und subjektive Naturen (Gefühlsmenschen) von dem objektiven Verhalten und den objektiven Naturen (Verstandesmenschen).

                Der »Willensmensch« steht gewissermaßen in der Mitte: er ist zwar beherrscht durch subjektive Tendenzen, aber er muss, um seinen Willen durchzusetzen, auch die objektiven Realitäten berücksichtigen, die vom reinen Gefühlsmenschen oft als “Irrealitäten” behandelt werden.

                Jeder kennt den Unterschied. Manche rechnen von den komplexeren Typen zum Beispiel die Frauen mehr der subjektiven, die Männer mehr der objektiven Gruppe zu. Man weiß auch, dass sich die Jugend in der Regel mehr subjektiv, das Alter mehr objektiv verhält. So fordert man z.B. vom Kulturmenschen im Gegensatz zum unkultivierten ein höheres Maß von Objektivität.

                Ist so die landläufige Bewertung geneigt, in der größeren Objektivität einen Vorzug zu sehen, so gilt das doch keineswegs allgemein. Gewiss, für viele Lebenslagen (Berufe zum Beispiel) ist ein hoher Grad von Objektivität erforderlich. Richter, Lehrer, Staatsleute, die nicht objektiv wären, würden sicherlich sehr getadelt werden. Aber für andere Berufe, den des Künstlers zum Beispiel, ist gerade starke Subjektivität erforderlich, und in rein menschlichen Beziehungen wäre reine Objektivität eher unerträglich.

                Was dem Menschen als Freund, in der Liebe, ja im oberflächlichen Verkehr Reiz und Anmut gibt, ist oft gerade die subjektive Seite seines Wesens, die persönliche Farbe, die er in seine Beziehungen hineinmischt. Wird daher jener Gegensatz der seelischen Struktur zuweilen zur Wertcharakteristik gebraucht, so gilt diese Wertcharakteristik doch nur in bestimmten Situationen.

                Jedenfalls aber ist jener Gegensatz ein Grundfaktor, der bei aller Menschenkenntnis in Rechnung gesetzt sein will. Wissen wir ungefähr, ob und in welchem Grad ein Mensch seine persönlichen Gefühle ins Spiel mischt, so werden wir sein Verhalten in vielen Situationen des Lebens voraus bestimmen können.

                Der stark subjektive Mensch nimmt überall gleich Partei, ist leicht zu beeinflussen, wenn man ihn nur von der Gefühlsseite zu fassen weiß, ist aber auch weit weniger berechenbar, weil er selbst weniger rechnet.

                Der objektive Mensch dagegen sucht stets mit dem Verstand die Tatbestände zu überschauen, bildet sich auf Grund dieser ein Urteil und handelt nach seiner Erkenntnis, sein Gefühl zurück dämmend.

                Indessen wird diese Scheidung erst fruchtbar, wenn man außer dem Grad der Subjektivität und der Objektivität auch ihre besondere Art erkennt, wenn man weiß, welche besonderen subjektiven oder objektiven Funktionen das Handeln des Individuums entscheidend bestimmen.

                Subjektiver & objektiver Typus – R.M.F – Alltagspsychologie - Psychologie

                Autor*in: R.M.F

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                  Das Lemming Syndrom - Satire

                  Das Lemming-Syndrom – Lorenz Keiser – Satire
                  Das Lemming-Syndrom  

                  Das Lemming-Syndrom – Lorenz Keiser – Satire 


                  Das Lemming-Syndrom ist eine ernste Infektionskrankheit und in seinen Auswirkungen auf den Betroffenen nicht zu unterschätzen.

                  Von Prof. Dr. Dr. Otto Reiser 1964 erstmals beschrieben, hat es sich seither ständig ausgebreitet und befällt Jahr für Jahr epidemieartig die meisten Gebiete von Mittel- und Nordeuropa sowie die Vereinigten Staaten und Japan.

                  Vom Lemming-Syndrom befallene Personen unterscheiden sich im Frühstadium ihrer Krankheit überhaupt nicht von Gesunden, was die sichere Diagnose besonders erschwert. Im fortgeschrittenen Stadium erkennt man die europäische Art an starker Transpiration sowie an der unübersehbar krebsroten Haut.

                  Die japanische Form ist dagegen von einem Fotoapparat und einem entnervenden Lächeln begleitet, während der amerikanische Lemming meist in großkarierten Shorts und Sonnenhut auftritt. So unterschiedlich die Erscheinungsformen dieses rätselhaften Leidens sind, so ähnlich ist doch überall sein Verlauf.

                  Die vom Lemming-Syndrom Befallenen sammeln sich an bestimmten Tagen wie abgesprochen an Flugplätzen, Bahnhöfen oder Autobahnraststätten, setzen sich in großen Hundertschaften eng zusammen und wählen oftmals einen Anführer, der meist eine Frau ist und eine hellblaue Uniform trägt. Anschließend zwängen sie sich in Flugzeuge, Eisenbahn Busse oder Autos, die eigens zu diesem Zweck gemietet wurden, und fliegen oder fahren wie gebündelte Zugvögel gegen Süden.

                  Trotz seines bereits stark gestörten Verhaltens kann man nicht daran vorbeisehen, dass der Erkrankte bis zu diesem Zeitpunkt durchaus noch ein Mensch ist. Die Verwandlung zum Tier findet aller Wahrscheinlichkeit nach erst während des Fluges oder der Fahrt statt. Dann jedoch innerhalb kürzester Zeit und mit letzter Konsequenz.

                  Kaum am Bestimmungsort angekommen, begeben sich die Lemminge in kasernenähnliche Gebäude, die zur Kaninchenhaltung nicht ungeeignet scheinen, nehmen zwei- bis dreimal täglich vorzügliche Hundenahrung zu sich und lassen sich dann vor ihren Käfigen, in Zwölferreihen ausgerichtet, wie Spanferkel braten.

                  Anschließend stürzen sie sich ins Meer!

                  Die einzigen Unterschiede zum echten Lemming (lemmus lemmus) bestehen darin, dass die vom Lemming-Syndrom Mutierten (lemmus charter und lemmus holidays) für die ganze Aktion Geld bezahlen und dass sie nach zwei bis drei Wochen regelmäßig, von Ausnahmen abgesehen, an ihren Heimatort zurückkehren, wobei sämtliche Krankheitssymptome zusammen mit der unnatürlich gefärbten Haut wie Schuppen von ihnen abfallen.

                  Das MAX-NECKERMANN-INSTITUT, MANNHEIM hat in einer umfangreichen Studie gezeigt, dass, obwohl es sich beim Lemming-Syndrom um eine typische Sommerkrankheit handelt, die Infektion mit demselben bereits lange vor den Sommermonaten stattfindet. Man spricht hier von einer prolongierten Inkubationszeit oder einem Apex-Fall.

                  Einen besonderen Gefahrenherd bilden bei der Ansteckung die im Januar oder Februar verschickten Reiseprospekte. Beim Anblick dieser Prospekte sollen labile Menschen leicht in eine tranceartige Verzückung geraten, wobei sie der Versuchung, mutwillig in die Arrangement-Falle (Trappe Mediterranée) zu tappen, nicht widerstehen können. Das erstaunlichste scheint mir dabei, dass diese Menschen sogar bereit sind, für den Lemmingzug ihre Ferien zu opfern.

                  Wie anderswo auch gilt hier deshalb in ganz besonderem Maße:
                  – Infektionsherde vermeiden!
                  – Keine unadressierte Post lesen!
                  – Buchungswillige sofort isolieren!

                  Eine der Hauptgefahren des Lemming-Syndroms bilden nicht zuletzt auch die vielen Folgekrankheiten, die man sich beim Aufenthalt an fremden Orten zuziehen kann. Aufzuzählen wären hier Durchfall, Gelbsucht, Malaria, Taxifahrten und andere Beraubungen sowie Typhus, Diphtherie und Cholera.

                  Der Gerechtigkeit halber muss allerdings gesagt werden, dass diese Krankheiten von Zeit zu Zeit auch den paläozoisch Alleinreisenden befallen können.

                  Das Lemming-Syndrom – Lorenz KeiserSatire

                  Autor*in: Lorenz Keiser

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                    Das Lemming-Syndrom ist eine ernste Infektionskrankheit und in seinen Auswirkungen auf den Betroffenen nicht zu unterschätzen. Von Prof. Dr. Dr. Otto Reiser 1964 erstmals beschrieben, hat es sich seither ständig ausgebreitet und befällt Jahr für Jahr epidemieartig die meisten Gebiete von Mittel- und Nordeuropa sowie die Vereinigten Staaten und Japan.

                    Populismus - Balthasar Gracian

                    Populismus - Balthasar Gracian - Handorakel
                    Populismus 

                    Populismus - Balthasar Gracian - Handorakel


                    Populismus – Dabei geht es zum einen um die Erzeugung bestimmter Stimmungen und zum anderen um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu politischen Zwecken.

                    Oft zeigt sich Populismus daher in einem speziellen Politikstil und dient als Strategie zum Machterhalt bzw. Machterwerb.

                    Weise Menschen fühlen sich vom Populismus nicht besonders angezogen und er bereitet ihnen auch wenig Vergnügen. Chamäleone der Popularität hingegen suchen und finden im Atem eines großen Haufens immer schon ihren vollen Genuss.

                    Denkende Menschen distanzieren sich eher von den großen Geschehnissen des Zeitgeistes, die oft nur auf Unwissenheit und Irrtümern beruhen.

                    Während die große Masse die allgemeine Dummheit bewundert, deckt der Verstand des einzeln denkenden Menschen Lug und Trug auf.

                    Wie kann man Menschen unbemerkt dazu bringen, sich an etwas Neues zu gewöhnen? Das Beispiel vom (gekochten) Frosch zeigt einen Weg:

                    Wirft man einen Frosch in einen Topf mit heißem Wasser, hüpft dieser sogleich wieder heraus. Legt man ihn aber in einen Topf mit lauwarmen Wasser und erhitzt diesen ganz langsam, merkt der Frosch nicht, was los ist und wie ihm geschieht, bevor es zu spät ist. – Gekochter Frosch!

                    Dies ist ein Trick, wie mit kleinen Schritten Menschen dazu gebracht werden können, sich langsam an etwas, was sie vielleicht gar nicht wollen, zu gewöhnen.

                    Balthasar Gracian | Handorakel | Populismus | Vademecum

                    Autor*in: Balthasar Gracian

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                      Populismus – Dabei geht es zum einen um die Erzeugung bestimmter Stimmungen und zum anderen um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu politischen Zwecken.

                      Die drei Sprachen - Brüder Grimm

                      Die drei Sprachen – Brüder Grimm – Märchen Schweiz
                      Die drei Sprachen 

                      Die drei Sprachen – Brüder Grimm – Märchen Schweiz


                      In der Schweiz lebte einmal ein alter Graf, der hatte nur einen einzigen Sohn, aber der war dumm und konnte nichts lernen.

                      Da sprach der Vater: »Höre, mein Sohn, ich bringe nichts in deinen Kopf, ich mag es anfangen wie ich will. Du musst also fort von hier, ich will dich einem berühmten Meister übergeben, der soll es mit dir versuchen.«

                      Der Junge wurde in eine fremde Stadt geschickt, und blieb bei dem Meister ein ganzes Jahr lang. Nach Verlauf dieser Zeit kam er wieder heim, und der Vater fragte: »Nun mein Sohn, was hast du gelernt?«

                      »Vater, ich habe gelernt, was die Hunde bellen«, antwortete er. »Dass Gott sich meiner erbarmen möge!«, rief der Vater aus, »Ist das alles, was du gelernt hast? Ich will dich in eine andere Stadt zu einem anderen Meister schicken!«

                      Der Junge wurde also in eine andere Stadt gebracht, und blieb auch bei diesem Meister ein Jahr. Als er zurückkam, fragte der Vater wiederum: »Mein Sohn, was hast du gelernt?« Er antwortete: »Vater, ich habe gelernt, was die Vögel sprechen.«

                      Da geriet der Vater in Zorn und sprach: »Oh du verlorener Mensch, hast also wieder die ganze kostbare Zeit vergeudet und nichts gelernt! Schämst du dich nicht, mir so unter die Augen zu treten? Ich will dich zum letzten Mal zu einem dritten Meister schicken. Aber lernst du auch diesmal nichts, so will ich dein Vater nicht mehr sein.«

                      Der Sohn blieb auch beim dritten Meister ebenfalls ein ganzes Jahr, und als er wieder nach Haus kam und der Vater fragte: »Mein Sohn, was hast du gelernt?« so antwortete er: »Lieber Vater, ich habe dieses Jahr gelernt, was die Frösche quaken.«

                      Da geriet der Vater in den höchsten Zorn seines Lebens, sprang auf, rief seine Leute herbei und sprach: »Dieser Mensch hier ist mein Sohn nicht mehr. Ich stoße ihn aus und gebiete euch, dass ihr ihn hinaus in den Wald führt und ihm das Leben nehmt.«

                      Da führten die Leute den Sohn hinaus, aber als sie ihn töten sollten, konnten sie es nicht vor lauter Mitleid und ließen ihn einfach gehen. Alsdann schnitten sie einem toten Reh Augen und Zunge aus, damit sie dem Alten ein Zeichen bringen konnten.

                      Der Jüngling wanderte nun fort und kam nach einiger Zeit zu einer Burg, wo er um Herberge für eine Nacht bat. »Ja«, sagte der Burgherr, »wenn du da unten in dem alten Turm übernachten willst, so gehe hin. Aber ich warne dich, es ist lebensgefährlich, denn der Turm ist voller wilder Hunde, die bellen und heulen in einem fort, und zu gewissen Stunden müssen sie einen Menschen ausgeliefert haben, den sie auch gleich verzehren.« Die ganze Gegend ist darüber in tiefer Trauer und Leid, und niemand konnte bisher helfen.

                      Der Jüngling aber war ohne Furcht und sprach: »Lasst mich nur hinab zu den bellenden Hunden, und gebt mir etwas, das ich ihnen vorwerfen kann; sie werden mir nichts tun.«

                      Weil er nun selber nichts anderes wollte, so gaben sie ihm etwas Fressen für die wilden Tiere und brachten ihn hinab zu dem Turm. Als er hinein trat, bellten ihn die Hunde nicht an, sondern wedelten mit den Schwänzen ganz freundlich um ihn herum, fraßen, was er ihnen hinsetzte, und krümmten ihm kein Haar.

                      Am anderen Morgen kam der junge Mann zu jedermanns Erstaunen gesund und unversehrt wieder zum Vorschein und sagte zum Burgherrn »die Hunde haben mir in ihrer Sprache offenbart, warum sie da hausen und dem Land Schaden bringen. Sie sind verwünscht und müssen einen großen Schatz hüten, der unten im Turm liegt. Sie kommen nicht eher zur Ruhe, als bis der Schatz gehoben ist. Und wie dies zu geschehen hat, habe ich ebenfalls aus ihren Reden vernommen.«

                      Da freuten sich alle, die das hörten, und der Burgherr sagte, er wolle ihn an Sohnes Statt annehmen, wenn er es glücklich vollbringen würde, den Schatz zu bergen. So stieg er wieder hinab, und weil er wusste, was er zu tun hatte, vollführte er es und brachte eine mit Gold gefüllte Truhe herauf. Das Geheul der wilden Hunde wurde von nun an nicht mehr gehört, sie waren verschwunden, und das Land war von der Plage befreit.

                      Nach einer Weile kam es ihm in den Sinn, er wolle nach Rom fahren. Auf dem Weg dorthin kam er an einem Sumpf vorbei, in welchem Frösche saßen und quakten. Er horchte auf, und als er vernahm, was sie sprachen, wurde er ganz nachdenklich und traurig.

                      Endlich gelangte er in Rom an, da war gerade der Papst gestorben, und unter den Kardinälen herrschte großer Zweifel, wen sie zum Nachfolger bestimmen sollten. Zuletzt wurden sie einig, derjenige sollte zum Papst erwählt werden, an dem sich ein göttliches Wunderzeichen offenbaren würde.

                      Und als das eben beschlossen war, trat im selben Augenblick der junge Graf in die Kirche, und plötzlich flogen zwei schneeweiße Tauben auf seine beiden Schultern und blieben da sitzen. Die Geistlichkeit erkannte darin das Zeichen Gottes und fragte ihn auf der Stelle, ob er Papst werden wolle. Er war unschlüssig und wusste nicht, ob er dessen würdig wäre, aber die Tauben redeten ihm zu, dass er es tun solle, und endlich sagte er »Ja.«

                      Da wurde er gesalbt und geweiht, und damit war eingetroffen, was er von den Fröschen unterwegs gehört und was ihn so bestürzt gemacht hatte, dass er der heilige Papst werden sollte. Darauf musste er auch gleich eine Messe lesen und wusste kein Wort davon, aber die zwei Tauben saßen stets auf seinen Schultern und flüsterten ihm alles Wichtige ins Ohr.

                      Die drei SprachenBrüder GrimmMärchen Schweiz

                      Autor*in: Brüder Grimm

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                        In der Schweiz lebte einmal ein alter Graf, der hatte nur einen einzigen Sohn, aber der war dumm und konnte nichts lernen. Da sprach der Vater: »Höre, mein Sohn, ich bringe nichts in deinen Kopf, ich mag es anfangen wie ich will. Du musst also fort von hier, ich will dich einem berühmten Meister übergeben, der soll es mit dir versuchen.«